Es gibt Menschen, die auf einen Remote-Arbeitsplatz angewiesen sind, damit sie ihren Job überhaupt machen können.
Die Gründe, warum Menschen aus dem Homeoffice arbeiten müssen, sind vielfältig:
- Büros und Co-Working-Spaces verfügen nicht immer über barrierefreie Standards und sind mit Rollstuhl, Rollator, Kinderwagen u.ä. oft kaum bis überhaupt nicht zugänglich, auch mit einer chronischen Erkrankung ist es schwierig.
- Licht und Lautstärke in (Großraum-)Büros kann bei neurodivergenten Menschen1 Stress auslösen. Viele nicht beeinflussbare Eindrücke und Reize in der Bürogestaltung führen dann zum Overload. Die geltenden Arbeitsschutz- und DIN-Normen für Helligkeit, Ausstattung des Arbeitsplatzes etc. in Deutschland sind nicht barrierefrei.
- Arbeits- und Pendelwege rauben Menschen, die Doppel- und Mehrfachbelastungen erleben, z.B. weil sie unbezahlte Care-Arbeit leisten, zusätzlich Zeit und Energie.2
- Queere Personen und BIPoC erleben häufig Diskriminierung am Arbeitsplatz. Remote-Arbeit ermöglicht ihnen einen notwendigen Schutzraum.
Um Menschen davor zu bewahren, sich als marginalisiert outen zu müssen, sollten Organisationen immer die Möglichkeit zur Remote-Arbeit anbieten – für jede Position im Unternehmen. Denn es ist kein Privileg, sich vor Diskriminierung zu schützen oder überhaupt arbeiten zu können, sondern ein Menschenrecht.
Dabei sollten Unternehmen die unterschiedlichen Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter*innen von Anfang an mitdenken und ihre Prozesse auf diese anpassen:
So gelingt Remote-Arbeit für alle
1. Bei Bewerbungen
Prüft Videokonferenzsoftware und sämtliche Tools der digitalen Infrastruktur im Unternehmen auf Barrierefreiheit.3 Grundsätzlich gilt: Was für das bisherige Team passt, kann für neue Bewerber*innen schon nicht mehr funktionieren. Am besten fragt ihr sie schon beim ersten Kennenlernen nach dem für sie zugänglichsten Tool – einige Menschen brauchen Untertitel, andere Screenreader-Accessibility.4
2. Beim Onboarding
Plant Onboarding-Prozesse für Menschen, die remote arbeiten, genauso ausführlich, wie für diejenigen im Büro: Es gehört definitiv dazu, dass neue Kolleg*innen in digitalen Treffen alle Teammitglieder kennenlernen und auch informellen Kontakt mit ihnen haben (können). Themen, die sonst schnell mal beim gemeinsamen Lunch geklärt werden, müssen auch für diejenigen zugänglich werden, die da nicht dabei sind.
Oft wird außerdem vergessen, dass Arbeitsmittel wie Laptop, Bildschirm, Tastatur u.ä. für Menschen, die nicht vor Ort arbeiten, pünktlich bereitgestellt werden. Das geht z.B. über Kurierdienste oder Bestellungen ab Werk. Gleiches gilt übrigens auch für Willkommensgeschenke, falls es in der Organisation so etwas gibt.
3. Die Benefits
Unternehmens-Benefits müssen für Remote-Mitarbeiter*innen anders gedacht werden. Sie sollten nicht ausschließlich Unternehmensstandort gebunden sein. Inklusiv wird es, wenn sich Mitarbeiter*innen einfach selbst aussuchen können, welche Benefits sie sich wünschen. Ein vorab definiertes Budget kann einen Rahmen bieten und die Spannbreite von üblichen Benefits abweichen: Wie wäre es mit der Übernahme der monatlichen Internetrechnung, lieferbaren Foodboxen, Online-Fitnesskursen oder einem Lastenrad vor Ort?
4. Die Meetingkultur
Bei gemeinsamen Online-Meetings sollte es möglich sein, die Kamera auszuschalten. Das kann für viele Menschen entlastend sein, beispielsweise bei Neurodiversität, für Menschen mit Kindern im Haushalt oder mit chronischer Erkrankung. Nebenwirkungen des chronischen Fatigue Syndroms können beispielsweise eine sehr hohe Lichtempfindlichkeit sein, die erfordert, Räume stark abdunkeln zu müssen. Durch eine entsprechende Etikette, die für alle gilt, wird diesen Menschen der Druck genommen, extra danach fragen und sich dabei outen zu müssen.
5. Hybrides Arbeiten
Sollten nicht alle Meetings vollständig online stattfinden, sondern auch in Hybrid-Settings mit Offline-Materialien wie Whiteboards, Flipcharts o.ä., ist es wichtig, dass diese gut lesbar sind. Hier helfen Dokumentenkameras, die allerdings keine flackernde Videoübertragung produzieren sollten. Denn Flackern ist nicht nur für alle anstrengend, sondern z.B. für Menschen mit Epilepsie sogar bedenklich.
Unser*e Input-Geber*in
Daniela Schubert (they/them) arbeitet freiberuflich als DEIB-Consultant. Dabei begleitet they Unternehmen in Team- und Transformationsprozessen und berät bei der inklusiven IT-Produktentwicklung. Daniela hat 2022 das IT-Fachbuch „Retrospective Antipatterns” ins Deutsche übersetzt und engagiert sich ehrenamtlich im Queer Lexikon e.V. und Queermentor e.V..
FUßNOTEN
- 1
Neurodivergenz ist kein medizinischer Begriff, sondern soll wertungsfrei beschreiben, dass das Gehirn betroffener Menschen anders funktioniert. Einige Neurodivergenzen sind z.B. ADHS, Autismus, Legasthenie und Downsyndrom. ↩
- 2
Frauen und Jobsuchende der Generation Z bewerben sich, laut LinkedIn Analyse, häufiger auf Remote Jobs. ↩
- 3
Die Bundesfachstelle Barrierefreiheit hat einen Leitfaden für barrierefreie Webkonferenzen veröffentlicht. ↩
- 4
Eigentlich sollte es selbstverständlich sein, aber dennoch der Hinweis: Alle im Bewerbungsprozess involvierten Personen in der Organisation sollten immer Bewerbungsunterlagen, Pronomen, Namen und Qualifikation der sich bewerbenden Person kennen, um diese nicht (unabsichtlich) in einen Rechtfertigungs- oder Outingdruck zu bringen. ↩