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Daran erkennst du, dass dein Unternehmen vorm Verkauf steht

Wenn Unternehmen verkauft werden, profitieren Anteilseigner*innen. Arbeitnehmende gehen dagegen häufig leer aus, schlimmstenfalls verlieren sie ihren Job. Doch es gibt gewisse Anzeichen für einen Verkauf. Wie du sie erkennst – und was du dann tun solltest.

Sechs Freunde, die liebend gern wandern gehen und Fahrrad fahren – und aus bloßem Frust darüber, dass es keine vernünftigen Apps zur Routenplanung gibt, ein Unternehmen gründen. Das ist die Geschichte von komoot1, das vor allem für seine gleichnamige Navigationsapp bekannt ist und damit in den letzten Jahren viele Outdoor-Enthusiast*innen überzeugt hat. Ein Verkauf des Unternehmens? Undenkbar. Schließlich ist es ihre eigene Begeisterung für das Projekt, die die Gründer antreibt, und im Geiste ergänzt man: nicht das Geschäft.

Noch im November 2021 sagt Markus Hallermann, einer der Gründer, im OMR-Podcast: „Ich hoffe, dass ich den Job weit länger als die nächsten zehn Jahre mache.“ Keine vier Jahre später, im Frühling 2025, verkündet derselbe Gründer einer geschockten Belegschaft dann doch: den Verkauf.

Die 150 Mitarbeiter*innen hatten nicht nur nichts geahnt. Einer von ihnen sagte mir im Interview: „Wir haben jahrelang für Gehälter unter Marktniveau gearbeitet, weil uns das Produkt wichtiger war als Geld.“ Im Moment des Verkaufs verwandelte sich die Arbeit aller aber in sehr viel Geld für wenige: Dem Manager Magazin zufolge erhielten die Gründer für ihr Unternehmen knapp 300 Millionen Euro. Die meisten Mitarbeiter*innen verloren dagegen ihren Job. Der neue Eigentümer, das Technologieunternehmen Bending Spoons, hat nach dem Erwerb 75 Prozent der Mitarbeiter*innen gekündigt. Weitere könnten folgen.

Nachdem ich über den Verkauf, die Reaktionen der Mitarbeiter*innen und ihr bevorstehendes Schicksal berichtet hatte, bekam ich viele Zuschriften von Leser*innen und Nutzer*innen von komoot, die mitfühlten und wütend waren. Einige waren aber auch der Ansicht, die Mitarbeiter*innen seien naiv gewesen: dass sie von dem Verkauf hätten wissen können, ja müssen.

Aber wie? Und was hätten sie in diesem Fall tun können? Fragen genug, um hier etwas tiefer einzusteigen.

„Wir haben jahrelang für Gehälter unter Marktniveau gearbeitet, weil uns das Produkt wichtiger war als Geld.“

Ex-komoot-Mitarbeiter

Wer kann über den Verkauf entscheiden?

Je nach Rechtsform und gesellschaftsrechtlicher Vereinbarung ist eine Voraussetzung für den Verkauf eines Unternehmens, dass bestimmte Gesellschafter*innen oder eine Mehrheit von ihnen dem zustimmt. In einem Unternehmen, das etwa von einer Mitarbeiter*innen-geführten Genossenschaft gehalten wird, wäre ein Verkauf gegen den Willen der Mehrheit der Mitarbeiter*innen ausgeschlossen.

Oder nehmen wir Neue Narrative. Wir sind in Verantwortungseigentum, und zwar über das Veto-Anteils-Modell. Dabei liegen die Stimmrechtsanteile zu 99 Prozent bei den Mitarbeiter*innen. Ein Prozent der Stimmrechtsanteile hält die Purpose-Stiftung, die außerdem mit einem Veto-Recht ausgestattet ist. Selbst wenn wir Mitarbeiter*innen plötzlich mehrheitlich vom Verkauf des eigenen Unternehmens begeistert wären, hätte die Stiftung das Recht (und die Pflicht), gegen alle Satzungsänderungen und Entscheidungen zu stimmen, die einen Verkauf von Neue Narrative ermöglichen oder bedeuten würden.

In der Regel gilt: Je weniger Eigentümer*innen ein Unternehmen hat, desto leichter lässt sich der Verkauf organisieren, weil weniger Personen am Prozess beteiligt werden müssen. „Sowohl für die Verkäufer als auch den Käufer ist es einfacher, mit einer kleineren Gruppe zu sprechen“, sagt Christoph Bielak, Experte für Mergers & Acquisitions (M&A, Fusionen und Übernahmen) und Venturecapital (Wagniskapital).

Im Umkehrschluss machen viele Anteilseigner*innen den Verkauf unwahrscheinlicher oder zumindest komplizierter – weil mehr Interessen ausgeglichen werden müssen. „Deshalb werden Mitarbeiter*innen in Deutschland häufig nur virtuell an den Unternehmenswertsteigerungen beteiligt, über sogenannte VSOP (virtual stock option plans, Anm. d. Red.)“, sagt Bielak. Sie bilden die Wertentwicklung des Unternehmens ab, ohne dies mit den Informations- und Stimmrechten echter Gesellschafter*innen zu verbinden.

Du weißt gar nicht, wem dein Unternehmen gehört?

Anzeichen für einen bevorstehenden Verkauf

Die meisten Beschäftigten in Deutschland sind jedoch Angestellte in Privatunternehmen, die einen Verkauf – ohne Zustimmung der Mitarbeiter*innen – zulassen. Wenn die Eigentümer*innen eines solchen Unternehmens einen Verkauf anbahnen, dann höchstwahrscheinlich ohne das Wissen ihrer Mitarbeiter*innen, die fast immer vor vollendete Tatsachen gestellt werden.

Warum? „Weil ansonsten alle nervös würden“, sagt Michael Grote, Professor an der Frankfurt School of Finance & Management. Er forscht zu M&A und Private Equity (privates Beteiligungskapital). „Die Mitarbeiter*innen bekommen Angst, ihren Job zu verlieren. Die Zulieferer*innen befürchten, ihren Kund*innen zu verlieren. Und die Kund*innen sorgen sich, keine Ansprechpartner*innen mehr zu haben.“

„Macht so eine Info die Runde, geht die Arbeitsleistung der Mitarbeiter*innen erstmal in den Keller“, sagt Robert Hubermann2, der über fünf Jahre bei McKinsey als Berater gearbeitet hat und jetzt für ein Family Office tätig ist, das auf die Übernahme mittelständischer Unternehmen spezialisiert ist. „Dabei sind solche Überlegungen oft erst mal Gedankenspiele, die häufig gar nicht zum Verkauf führen.“

Angestellte müssen also selbst die Zeichen lesen lernen, wenn sie früh über einen möglichen Verkauf informiert sein wollen.

Die Mitarbeiter*innen bekommen Angst, ihren Job zu verlieren. Die Zulieferer*innen befürchten, ihren Kund*innen zu verlieren. Und die Kund*innen sorgen sich, keine Ansprechpartner*innen mehr zu haben.

Michael Grote, Professor an der Frankfurt School of Finance & Management

Anzeichen 1: Wagniskapital ist investiert

Ein wichtiger Indikator dafür, dass in den nächsten Jahren verkauft wird, ist investiertes Wagniskapital. „Venturecapital im Unternehmen befeuert den Verkauf“, sagt Grote. Denn Venturecapital-Fonds verdienen ihr Geld, indem sie Anteile kaufen und wieder verkaufen – meist innerhalb von sechs bis acht Jahren.

Warum ist das so? Grob gesagt sammelt eine Venturecapital-Firma Geld von Vermögenden und bündelt es für einen Zeitraum von acht bis zwölf Jahren in einem Fonds, der es wiederum in verschiedene Start-ups investiert.

Das Risiko des Komplettausfalls ist dabei recht hoch, da junge Unternehmen oft scheitern. „Dennoch versprechen VCs jährliche Renditen jenseits von 20 Prozent“, sagt Bielak. Die Venturecapital-Firma hat also in der Regel höchstens zwölf Jahre Zeit, um eine Reihe vielversprechender junger Unternehmen zu finden, in diese zu investieren und die Anteile gewinnbringend wieder zu veräußern. „Weil viele Unternehmen scheitern, muss jedes Unternehmen die Chance bieten, so viel einzubringen, dass es den gesamten Fonds profitabel macht“, so Bielak.

Zeigt ein Unternehmen also das Potenzial, die hohen Gewinnerwartungen der Venturecapitalists zu erfüllen, dann werden sie auf einen Verkauf hinwirken, wobei dieser auch als Börsengang ausgestaltet werden kann. Das kommt laut Bielak aber recht selten vor. Auch komoot hatte Wagniskapitalgeber – einer der Gründe dafür, dass viele vom Verkauf des Unternehmens nicht überrascht waren.

Anzeichen 2: Kapitalgesellschaften werden gegründet

„Wer Anteile über eine Kapitalgesellschaft an eine andere verkauft, zahlt nur 1,5 Prozent Steuern auf den Erlös“, sagt Bielak. „Es gibt keine effektivere Möglichkeit, Steuern zu sparen.“ Dass nicht Eigentümer*innen selbst, sondern Kapitalgesellschaften Anteilseigner*innen am Unternehmen sind, erkennt man ebenfalls anhand eines Blicks auf die Gesellschafter*innen: Ist der Gründer nicht als Rainer Müller, sondern als RM Beteiligungs UG gelistet, hält er seine Anteile in einer Kapitalgesellschaft. Zwar muss der Gewinn noch immer versteuert werden, sobald Herr Müller ihn sich auszahlen lässt. Er kann es allerdings auch unversteuert in der UG belassen, von dort aus weitgehend unvermindert investieren und hat so ein größeres Investmentvolumen und mithin höhere Renditen.

Was das für die Mitarbeiter*innen heißt? Halten Eigentümer*innen ihre Anteile am Unternehmen von Anfang an in einer Kapitalgesellschaft: nicht so viel. Wenn sie aber ihre Anteile in eine UG oder eine GmbH neu einbringen, dann kann das auf einen geplanten Verkauf hindeuten.3 (Alle Änderungen kannst du ebenfalls im Handelsregister nachvollziehen.)

Weniger einfach zu erkennen ist laut Bielak eine Umstrukturierung auf Ebene der Gesellschaft. Wird eine weitere Kapitalgesellschaft gegründet, an die das Unternehmen (teilweise) übergeht, handelt es sich um eine sogenannte Zwischenholding. Ziel ist, bei einem möglichen Verkauf Steuern zu vermeiden. Erkennbar wird das auf Strukturebene dadurch, dass die Eigentümer*innen ihre Anteile nicht mehr direkt am Unternehmen halten, sondern auf die Holding umschreiben. Das wäre im Handelsregister durch eine Änderung der Gesellschafterliste erkennbar.

„Wer Anteile über eine Kapitalgesellschaft an eine andere verkauft, zahlt nur 1,5 Prozent Steuern auf den Erlös.“

Christoph Bielak, Experte für Mergers & Acquisitions

Anzeichen 3: Ungewöhnliche Aufräumarbeiten finden statt

In Vorbereitung auf den Verkauf setzen Eigentümer*innen häufig das Unternehmen besonders in Szene. Man könne sich das wie bei Kleinanzeigen vorstellen, sagt Hubermann. „Ich habe mein Auto nie so gründlich geputzt, wie kurz bevor ich die Fotos für ein Inserat zum Verkauf gemacht habe.“ So ähnlich sei es auch bei Unternehmen. In einem Handwerksbetrieb etwa werden Mitarbeiter*innen, die vorher auch mal auf eigenen Baustellen der Eigentümer*innen tätig waren, häufiger bei Kund*innenaufträgen eingesetzt. Projekte, die erst auf lange Sicht Erträge versprechen, werden pausiert.

Zudem werden Kredite getilgt und dafür gesorgt, dass es einen soliden Kassenbestand gibt – genug Geld auf dem Firmenkonto also. „Es geht darum, den Käufer*innen zu signalisieren: Hier schlummern viele Potenziale, die ich aus mangelnder Kapazität, Energie oder Risikobereitschaft noch nicht gehoben habe“, sagt Hubermann. Meist erzielt die Kombination aus Rentabilität und Erfolg versprechenden Potenzialen einen besonders hohen Verkaufspreis.

Auf struktureller Ebene werden Geschäfte oder Bereiche, die mehr Fragen aufwerfen, als sie beantworten, vom Betrieb abgeschnitten. Unterhält ein Gummistiefelunternehmen beispielsweise eine eher wenig rentable Marketingagentur vor allem aus dem Grund, dass der Cousin zweiten Grades eben unbedingt eine Marketingagentur leiten wollte, wird die Agentur wahrscheinlich vor dem Verkauf aus dem Firmennetz ausgegliedert. Genau wie die PKW- und Kunstsammlung, die der Eigentümer über das Unternehmen erworben hat.

„M&A ist immer auch Storytelling. Man will eine solide, überzeugende Geschichte mit bereinigten Gewinnen erzählen, die keine Fragen aufwirft“, sagt Bielak. Alle ungewöhnlichen Ereignisse und Umstrukturierungen, für die es keinen offensichtlichen Grund gibt, sollten Mitarbeiter*innen aufmerken lassen: Anzugträger*innen im Büro, eine geschlossene Tür des Chefs, kurzfristig abgesagte Feiern.

Treffen Eigentümer*innen plötzlich unternehmerische Entscheidungen, die gar keinen Sinn ergeben? Dann sollten Mitarbeiter*innen sich fragen: „Wie würde das für potenzielle Käufer*innen aussehen?“

Doch was tun, wenn sich der Verdacht erhärtet?

„M&A ist immer auch Storytelling. Man will eine Geschichte erzählen, die keine Fragen aufwirft.“

Christoph Bielak

Ich glaube, mein Unternehmen wird verkauft. Was nun?

Für die Mitarbeiter*innen des verkauften Unternehmens sieht es in der Regel schlecht aus: Zwei Jahre nach der Übernahme hat durchschnittlich etwa die Hälfte der Mitarbeiter*innen ihren Job verloren. Das ist das Ergebnis einer Studie, die über tausend Fusionen und Übernahmen in Deutschland über einen Zeitraum von 17 Jahren untersucht hat.

Denn bei der Zusammenlegung der Unternehmen entstehen häufig „Synergien“, wie Hubermann es nennt. Das fusionierte Unternehmen braucht zum Beispiel nur eine Personalabteilung und nicht zwei. Der Abbau dieser Doppelstrukturen und Maßnahmen für mehr Produktivität führen dazu, dass einige Mitarbeiter*innen obsolet und gekündigt werden. Das kann für die neuen Eigentümer*innen aber auch nach hinten losgehen: Besonders wertvolle, erfahrene und produktive Mitarbeiter*innen verlassen das Unternehmen der Studie zufolge häufig als Erstes – im Glauben, nicht mehr gebraucht zu werden.

Falls du also vermutest, dass dein Unternehmen vor dem Verkauf steht, ist die Lage ernst – aber auch nicht so ernst, dass du beginnen solltest, panisch im Kreis zu laufen (was wahrscheinlich selten eine besonders gute Idee ist).

Was kannst, was solltest du stattdessen tun? Die Eigentümer*innen eigenständig zu konfrontieren, hält Grote für keine gute Idee. „Selbst wenn da wahrheitsgemäß geantwortet wird – und hier wird auch gelogen –, sind die Konsequenzen weit im Voraus auch für die engsten Beteiligten selten klar.“

Wenn du aber ein gutes Verhältnis zu den Eigentümer*innen hast und ein aufrichtiges Gespräch über den geplanten Verkauf stattfindet, könntest du Möglichkeiten der Mitarbeiter*innen-Beteiligung aufzeigen. Viele Eigentümer*innen wissen gar nicht um solche Modelle. Die Mitarbeiter*innen des Architekturbüros Waldner Partner zum Beispiel haben eine Genossenschaft gegründet, um den Verkauf des Unternehmens an Externe abzuwenden und es im Kollektiv selbst zu übernehmen – was dem Gründer trotzdem eine hübsche Summe bescherte. Auch das Verantwortungseigentum ermöglicht es Eigentümer*innen, sich aus ihrem Unternehmen zurückzuziehen, ohne es zu verkaufen.4

Zwei Jahre nach der Übernahme hat durchschnittlich etwa die Hälfte ihren Job verloren.

Betriebsrat: Nicht nur für Mitarbeiter*innen dienlich

Eine Sache, die Grote der Belegschaft in jedem Fall empfiehlt, ist, einen Betriebsrat zu gründen. „Als Betriebsrat hat man weitgehende Informationsrechte.“ Sie haben das Recht, „rechtzeitig und umfassend“ über geplante Betriebsänderungen unterrichtet zu werden, so steht es im Betriebsverfassungsgesetz.

Das verschafft Mitarbeiter*innen buchstäblich einen Platz am Verhandlungstisch. Sie können eigene Vorschläge machen, z.B. einen Sozialplan erarbeiten. Die sozialverträgliche Gestaltung solcher Übergänge und Umstrukturierungen zählt zu den Kernaufgaben von Betriebsräten. „Zwar hat der Betriebsrat kein Streikrecht, aber die Interessen der Beschäftigten müssen berücksichtigt werden“, sagt ver.di-Gewerkschaftssekretär Volker Nüsse. „Am Ende kann eine entsprechende Einigung auch durch einen gerichtlichen Beschluss herbeigeführt werden.“

Einen Betriebsrat zu gründen, ist recht einfach – und auch kurzfristig möglich, sagt Deria Gomm, ehemalige Anwältin im Betriebsverfassungsrecht, jetzt Spezialistin für Rechtsfragen im Bereich Mitbestimmung bei ver.di. „In Unternehmen mit weniger als 100 Mitarbeitenden gilt das vereinfachte Wahlverfahren, das prinzipiell innerhalb einer Woche abgeschlossen ist, wenn alles gut vorbereitet ist“, sagt Gomm. „Bei mehr als 100 Mitarbeitenden sollte man grundsätzlich mindestens sechs Wochen einplanen, weil beim normalen Wahlverfahren so viel Zeit zwischen dem Wahlausschreiben und der Wahl liegen müssen.“

Hilfe für die Betriebsratsgründung finden Mitarbeiter*innen insbesondere bei den zuständigen Gewerkschaften. Sinnvoll ist es oft, sich dort zum Thema Betriebsratswahl schulen zu lassen. Die Gewerkschaft hilft auch bei der Vermittlung von Sachverständigen, wenn zusätzlicher rechtlicher oder wirtschaftlicher Rat nötig wird. Die Organisation der Wahl und das Beschaffen aller im Fall eines Verkaufs relevanten Informationen koste zwar Arbeit, doch die lohne sich, sagt Gomm.

Im Streitfall hat der Betriebsrat vielfältige Rechte. Er kann beispielsweise um Vermittlung ersuchen. Da die für das Unternehmen ziemlich teuer werden kann, ist sie ein gutes Druckmittel, um bessere Konditionen für die Mitarbeiter*innen zu erwirken. Wahlinitiator*innen genießen außerdem Kündigungsschutz – vorausgesetzt, sie lassen ihr Vorhaben notariell beglaubigen. Auch Wahlvorstände und Betriebsräte haben Kündigungsschutz.

Betriebsräte sind unter Unternehmer*innen nicht sonderlich beliebt, weil sie ihre Handlungsfähigkeit einschränken. Dabei wirken sie sich in der Regel positiv auf das Unternehmen aus. In einer Studie des deutschen IZA – Institute of Labor Economics kommen die Autoren zu dem Schluss, dass Betriebsräte zu steigenden Renditen, mehr Produktivität und höheren Löhnen beitragen. Zudem nehme die Fluktuation innerhalb der Belegschaft ab und es gebe weniger Arbeitskräftemangel.

Auch im konkreten Fall eines Verkaufs führt die Einbindung des Betriebsrats tendenziell zu einer Versachlichung dieses hoch emotionalen Themas, weil die Mitarbeiter*innen wissen, dass sich jemand für ihre Belange einsetzt. Es lohnt sich also für beide Seiten.

Betriebsräte sind unter Unternehmer*innen nicht sonderlich beliebt. Dabei wirken sie sich in der Regel positiv auf das Unternehmen aus.

Die beste Zeit ist jetzt

Beim Verkauf von Unternehmen treten strukturelle Unterschiede besonders stark zutage, die vorher überdeckt blieben. Das Schicksal von komoot wäre sicherlich ein anderes gewesen, wenn es eine stärkere, rechtlich verankerte Beteiligung der Mitarbeiter*innen gegeben hätte.

Arbeitnehmer*innen in Deutschland haben durch die Betriebsverfassung eine starke rechtliche Grundlage für eine betriebliche Interessenvertretung. Die Zeichen eines bevorstehenden Verkaufs zu erkennen, ist wichtig. Noch wichtiger aber ist es, sich nicht auf die Eigentümer*innen zu verlassen: Frage dich, welche Möglichkeiten der echten Beteiligung du hast – und ob du Mitstreiter*innen findest, diese einzufordern und umzusetzen.

Es kann zunächst überwältigend und auch beängstigend sein, sich gegen seine Chef*innen zu stellen und Forderungen zu formulieren – vor allem, wenn das in der Unternehmenskultur zuvor kein Thema war. Doch wer sich gemeinsam für die eigenen Interessen starkmacht, verbessert nicht nur die Lage der Mitarbeiter*innen, sondern meist auch die des Unternehmens.

Take-aways

  1. Nach Unternehmensverkäufen verlieren Angestellte häufig ihre Jobs – durchschnittlich müssen einer breit angelegten Studie zufolge etwa 50 Prozent der Belegschaft innerhalb von zwei Jahren nach der Übernahme gehen.
  2. Eigentümer*innen informieren ihre Angestellten in der Regel erst über den Verkauf, wenn er bereits beschlossen ist. Es gibt jedoch einige Warnzeichen: investiertes Wagniskapital, die Gründung von Kapitalgesellschaften und ungewöhnliche Aufräumarbeiten.
  3. Angestellte sollten im Verdachtsfall einen Betriebsrat gründen. Der hat umfassende Informationsrechte bei geplanten Betriebsänderungen und kann die Interessen der Angestellten gebündelt vertreten.

FUßNOTEN

  • 1

    „Wir glauben, dass jeder Tag, den du draußen verbringst, ein wertvoller Tag ist; wertvoller als alle Dinge, die du kaufen kannst“ – so steht es auf der Website ironischerweise immer noch geschrieben.

  • 2

    Name geändert, der echte Name ist der Redaktion bekannt

  • 3

    Zwar gibt es eine siebenjährige Sperrfrist für die Steuerfreiheit – werden also innerhalb von sieben Jahren nach der Einbringung die Anteile veräußert, wird trotzdem eine Gewinnsteuer fällig –, doch die sinkt anteilig Jahr für Jahr.

  • 4

    Wie wir das bei Neue Narrative gemacht haben, kannst du hier detailliert nachlesen: 9 Spaces: Ein Unternehmen, das sich selbst gehört

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