Was kommt nach der Karriereleiter? Unsere neue Ausgabe ist da!

Ein Strichmännchen mit einem Fragezeichen gibt einer anderen Figur ein High five
Frag Frida

Wie klare Grenzen unsere Arbeitsbeziehungen stärker machen

  • Text: Sebastian Klein
  • Illustration: Robert Löbel

In unserer Kolumne Frag Fred geben wir Antworten auf Fragen, die im Kontext neuer Arbeit immer wieder auftauchen: Diesmal geht es darum, wie es gelingt, starke Beziehungen am Arbeitsplatz zu haben und trotzdem Grenzen zu ziehen und zu wahren.

Dieser Guide beantwortet folgende Frage:

In den allermeisten Organisationen wird der Umgang unter Kolleg*innen lockerer, der Ton freundschaftlicher. Das macht es schwieriger, Nein zu sagen. Wie gelingt es, sowohl starke Beziehungen aufzubauen, als auch klare Grenzen zu ziehen und nicht zu allem Ja zu sagen?

Unsere Frida antwortet:
In vielen Unternehmen verändert sich der Umgang unter Kolleg*innen. Man duzt sich, geht informeller miteinander um und verringert allgemein die professionelle Distanz. Das hat unbestreitbar Vorteile: Die meisten Menschen finden es angenehmer, weniger eine professionelle Rolle zu spielen und sich dafür mehr als die Menschen zu zeigen, die sie auch außerhalb der Arbeit sind.

Allerdings wird das Leben an einigen Stellen auch komplizierter: Wo mehr Nähe herrscht, muss auch mehr Beziehungsarbeit geleistet werden. Wo es früher klare Regeln gab („Dafür bin ich nicht zuständig“, „Kollegen umarmen sich nicht“ oder „Die Arbeit endet beim Verlassen des Büros“), muss nun jede*r Einzelne Grenzen ziehen und diese auch kommunizieren. Und lernen, Sätze wie diese zu sagen:

  • „Nein, ich kann das nicht noch eben für dich erledigen.“
  • „Nein, ich möchte nicht umarmt werden.“
  • „Nein, ich möchte nicht mit meinen Arbeitskolleg*innen am Abend oder Wochenende per Messenger kommunizieren.“

Dabei zeigt sich schnell, dass nicht alle Arbeitsbeziehungen schlagartig besser werden, nur weil der*die Chef*in jetzt Turnschuhe trägt und alle sich duzen. Ton und Umgangsformen sind einfach Teil der Kultur in einem Unternehmen. Schließlich ist es auch möglich, eine starke Beziehung zu haben und professionell distanziert miteinander umzugehen. Auf der anderen Seite macht Nettsein noch lange keine starke Beziehung.

Ein Männchen malt eine Grenze in Form eines gestrichelten Dreiecks um sich herum, während eine andere Figur erbost schreit.
Das Cover unserer Fehler-Ausgabe auf einem Tablet

Hol dir eine kostenlose Ausgabe von Neue Narrative

Magazin kostenlos lesen

Was ist das eigentlich, eine starke Beziehung?

Beziehungen haben immer mit Vertrauen zu tun („Ich kann mich auf die andere Person verlassen“), mit positiven Erfahrungen („Die andere Person hat mich nicht hängen lassen, wenn ich sie gebraucht habe“), mit Gegenseitigkeit („Geben und Nehmen sind – zumindest langfristig – ausgeglichen“). Und starke Beziehungen beinhalten immer, dass beide Personen Grenzen ziehen und diese auch kommunizieren: „Das ist mir zu viel, nein, ich kann das nicht für dich erledigen, nein, ich möchte nicht auch außerhalb der Arbeit ständig mit Kolleg*innen in Kontakt sein.“

Warum sind Grenzen so wichtig? Mit ihnen zeige ich im Grunde, wer ich bin. Grenzen sind Ausdruck meiner Identität, meiner Prioritäten und Werte. Nur wenn ich meine Grenzen zeige, erlaube ich anderen überhaupt, mich als Person kennenzulernen. Und nur dann wird es möglich, eine starke Beziehung zu entwickeln. Wenn ich zum Beispiel immer Ja sage, wo ich eigentlich Nein meine, kann die andere Person sich gar nicht an meinen Präferenzen ausrichten. Und im schlimmsten Fall halte ich sie auch noch für rücksichtslos, egoistisch oder manipulativ, weil sie nicht erraten hat, was mir wichtig ist, obwohl ich es nicht mal ausgesprochen habe.

Ganz wichtig ist dabei: Grenzen sind individuell. Die andere Person kann im Grunde nur wissen, wann meine Grenze überschritten ist, wenn ich es ihr sage. Wenn ich meine Grenzen klar kommuniziere und auch mal Nein sage, hilft das der anderen Person, mich besser kennenzulernen. Die Grenzziehung stärkt also potenziell unsere Beziehung und erlaubt uns, künftig besser miteinander umgehen zu können. Und für mich ergibt sich ein weiterer Vorteil: Wenn ich eine Grenze klar kommuniziert habe, sehe ich, ob die andere Person sie künftig respektieren wird. Falls ja, weiß ich, dass unsere Beziehung eine Basis hat. Falls nein, weiß ich, dass das nicht der Fall ist und es z.B. gesünder für mich ist, mich noch stärker abzugrenzen.

Wo liegen meine Grenzen?

Dafür muss ich allerdings zunächst einmal merken, wann eine Grenze bei mir übertreten ist. Ein einfacher Indikator, der dabei zuverlässig hilft, sind Emotionen. Wut, Angst, Genervtheit und dergleichen zeigen mir, dass eine Grenze übertreten wurde. Oftmals überschreiben wir diese Empfindungen jedoch durch eine rationale Bewertung („Ist doch nicht so schlimm“, „Ich darf mich nicht so anstellen“ usw.) Es lohnt sich, hier den Kopf abzustellen und zuerst auf die eigenen Emotionen und Empfindungen zu hören.

Ein Männchen sitzt auf einer Grenzmauer und hält ein Schild mit der Aufschrift: Meine Grenze

Als kleine Übung, um die eigenen Grenzen noch besser kennenzulernen, empfiehlt sich, regelmäßig die Erlebnisse des letzten Tages, der letzten Wochen gedanklich durchzugehen und dabei nach Momenten zu suchen, in denen sich negative Emotionen als Reaktion auf eine Situation gemeldet haben. Wie hat es sich angefühlt, als die Kollegin mich spontan in ein längeres Gespräch verwickelt hat? Welche Emotion hat sich geregt, als mir jemand körperlich nahekam? Welche, als der Kollege angerufen und gefragt hat, ob ich ihm schnell bei der Arbeit an seinem Projekt helfen könnte?

Ziel sollte bei alldem sein, die eigenen Grenzen möglichst genau zu kennen und auch zu verstehen. Dafür hilft es, anhand konkreter Erlebnisse weiter zu reflektieren:

  • In welchen Situationen zeigen mir negative Emotionen, dass Grenzen überschritten wurden?
  • Welche Schlüsse kann ich daraus auf meine eigenen Werte und Bedürfnisse ziehen?
  • Was müssen andere wissen, welche No-Gos habe ich z.B., welche Situationen sind mir unangenehm?

Wie kommuniziere ich meine Grenzen?

Im nächsten Schritt geht es darum, meine Grenzen richtig zu kommunizieren. Dabei ist es ganz zentral, auf „meiner Seite der Straße“1 zu bleiben. Damit ist gemeint, dass wir alle Vorwürfe, Interpretationen und Bewertungen weglassen sollten:

  • „Nein, ich kann das nicht für dich erledigen, weil ich es nicht in meiner Rolle sehe und mir wichtig ist, dass wir klar in unseren Verantwortlichkeiten sind.“
  • „Nein, ich möchte nicht umarmt werden, weil körperlicher Kontakt mir schnell zu viel wird.“
  • „Nein, ich möchte nicht auch nach Feierabend mit euch chatten, weil mir die Trennung von Privat- und Berufsleben wichtig ist.“

Wenn ich bei meinen Bedürfnissen und Prioritäten bleibe, ist es auch leichter, Grenzen zu ziehen, die zwar klar sind, aber trotzdem keine harte Wand. Letzteres macht es nämlich schwierig, die Bedürfnisse zweier Personen unter einen Hut zu bringen. Ein „Nein, du darfst mich nicht …“ oder ein „Wir müssen immer …“ lässt wenig Spielraum. Besser ist ein „Ich möchte … nicht (Grenze), weil ich … brauche (Bedürfnis)“. Wenn z.B. mein Bedürfnis nach Autonomie und einem geschützten Privatleben („Ich möchte nicht abends und am Wochenende mit Kolleg*innen chatten“) dem Bedürfnis meines Kollegen gegenübersteht, der sich ein starkes soziales Zugehörigkeitsgefühl wünscht („Ich möchte euch auch außerhalb der Arbeit kennen“), erlaubt eine klare, aber weiche Grenze, eine Lösung zu suchen, die beiden gerecht wird („Wir machen regelmäßig einen Teamabend, an dem wir uns privat austauschen“).

All das bringt Autorin und Podcasterin Natalie Lue mit ihren 5 Orientierungspunkten fürs Grenzen-Kommunizieren auf den Punkt.

Ein Strichmännchen mit einem Ausrufezeichen gibt einer anderen Figur ein High five

5 Orientierungspunkte für Grenzen

Für Natalie Lue braucht es:

  1. Mitgefühl für mich selbst und die andere Person: Wir beide sind fehlbar und wollen am Ende nur unsere Bedürfnisse befriedigen und im Einklang mit unseren Werten leben.
  2. Kongruenz (Deckungsgleichheit mit meinem Innenleben): Um klare Grenzen zeigen zu können, brauche ich innerliche Klarheit dazu, auf welchen Werten, Bedürfnissen und Prioritäten meine Grenzen beruhen.
  3. Klarheit in der Kommunikation: Wenn es eine Grenze bei mir gibt, sollte die auch klar und unmissverständlich kommuniziert werden. Dass andere meine Grenzen erraten, ist keine gesunde Erwartung.
  4. Verantwortung: Ich übernehme die Verantwortung für meine Grenzen (sie sind begründet in meinen eigenen Präferenzen) und bleibe in der Kommunikation auf meiner Seite der Straße („ich brauche“ vs. „du musst“).
  5. Güte: Grenzen sind kein Nullsummenspiel (meine Bedürfnisse vs. deine), sondern eine Möglichkeit, gemeinsam in einer Beziehung zu wachsen.

Wenn ich eine Grenze ziehe, schaffe ich nicht Distanz. Im Gegenteil: Ich mache mich damit ein Stück weit verletzlich, weil ich offen lege, was meine Werte und Bedürfnisse sind. Indem ich diese Selbsterkenntnis teile und mich kongruent entsprechend meiner Grenzen verhalte, erlaube ich anderen, mich als ganze Person kennenzulernen.

Takeaways

  • Nur wenn ich meine Grenzen zeige, erlaube ich anderen, mich als ganze Person kennenzulernen.
  • Grenzen sind individuell. Eine andere Person kann nur wissen, wann eine Grenze überschritten ist, wenn wir es ihr kommunizieren. Dafür müssen wir zunächst unsere eigenen Grenzen kennen.
  • Natalie Lue nennt fünf Orientierungspunkte fürs Grenzen-Kommunizieren: Mitgefühl, Kongruenz, Klarheit, Verantwortung, Güte.

FUßNOTEN

  • 1

    Natalie Lue: Podcast Ep. 193: The Landmarks of Boundaried Communication. Baggage Reclaim

Das Cover unserer Fehler-Ausgabe auf einem Tablet

Sichere dir eine Gratis-Ausgabe!

Lust, mal in unserem Magazin zu blättern? In der Ausgabe, die wir dir als PDF zuschicken, geht es um das Thema Scheitern. Niemand spricht gerne über Fehler. Trotzdem passieren sie jeden Tag. Wie lässt sich aus Fehlern lernen?

Limitiertes Angebot

Schließe bis zum 31. Juli ein Abo ab und erhalte unser Reflexionsbuch „Check-in mit dir selbst“ als PDF dazu.