Regeneratives Wirtschaften

Warum Unternehmen Greenwashing betreiben und wie sie es vermeiden können

Beim Greenwashing geben Unternehmen vor, umweltfreundlich zu sein. Kurzfristig kann das den Umsatz steigern. Langfristig zerstört es aber das Vertrauen der Kund*innen und schadet dem Klimaschutz insgesamt.

Wenn ich heute in einen Supermarkt gehe, gewinne ich den Eindruck, dass wir auf dem besten Weg aus der Klimakrise sind. Von der Milch bis zur Schraubenpackung ist laut Hersteller*innen fast jedes Produkt klimaneutral und natürlich, und die Verpackungen sind zu 100 Prozent recycelbar. Trotz eines vagen Gefühls von Misstrauen greife ich sicherheitshalber zur klimaneutralen Milch, man weiß ja nie…

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Was ist Greenwashing überhaupt?

Laut Duden ist Greenwashing der „Versuch (von Firmen oder Institutionen), sich durch Geldspenden für ökologische Projekte, PR-Maßnahmen o. Ä. als besonders umweltbewusst und umweltfreundlich darzustellen“. Das hört sich harmlos an – es ist schließlich nichts dabei, Geld für einen guten Zweck zu spenden, oder? Dabei steht viel auf dem Spiel: Wenn Unternehmen die Klimakrise und ihre Mitverantwortung dafür ernst nehmen, müssen sie ihr Geschäftsmodell verändern. Stattdessen entscheiden sich aber viele dafür, Geld und Arbeit vor allem in die Außenkommunikation zu stecken, um sich lediglich ein grüneres Image zu verpassen.

Der Blick in eine Studie vom New Climate Institute und Carbon Market Watch macht deutlich, wie groß das Problem ist: Die 24 analysierten, global agierenden Konzerne von Apple bis Walmart sind für ganze vier Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich. Alle Unternehmen behaupten, ihre Emissionen auf Netto Null senken zu wollen und im Bereich der Klimaschutzanpassungen führend zu sein. Die Analyse ergibt hingegen, dass nur ein einziges Unternehmen die eigenen Versprechen annähernd erfüllt.1

Woher kommt der Begriff?

Greenwashing geht auf einen 1986 veröffentlichten Essay des Ökologen Jay Westerveld zurück. Darin schreibt er über Hotels, die ihre Gäste dazu auffordern, Handtücher mehrfach zu benutzen, angeblich der Umwelt zuliebe. Westerveld kritisiert, dass den Gästen eine Möglichkeit vorgegaukelt wird, Hotels dabei zu helfen, Wasser zu sparen, während in Wahrheit v.a. die Wäschereikosten des Hotels gesenkt werden sollen – Green-„Washing“ im wortwörtlichen Sinne. Heute verwenden wir den Begriff meist in Bezug auf Organisationen, die sich nachhaltig und ökologisch geben, es aber gar nicht sind.

Der Greenwashing-Sog

Aber nicht nur große Konzerne betreiben Greenwashing, sondern auch kleine oder mittelständische Unternehmen. Es gibt fast so etwas wie einen Greenwashing-Sog. Das hat drei Hauptgründe:

1. Greenwashing lohnt sich wirtschaftlich

In einer nicht repräsentativen Umfrage des Londoner Nachrichtendienstes Retail Week wurden 1.000 britische Verbraucher*innen danach gefragt, welche Einzelhandelsunternehmen ihrer Meinung nach besonders nachhaltig agieren. Das Ergebnis: H&M, Nike, Primark und Amazon.2 Keines dieser Unternehmen gilt tatsächlich als besonders nachhaltig, und H&M wurde sogar mehrmals wegen Greenwashing verklagt.3 Greenwashing zu betreiben lohnt sich also offenbar wirtschaftlich.

2. Die Individualisierung von Verantwortung funktioniert

Nachhaltigkeit ist, neben dem Kaufpreis, in den letzten Jahren zu einem wichtigen Kaufkriterium geworden.4 Das ist u.a. deshalb so, weil sich Konsument*innen dafür verantwortlich fühlen, mit ihren Kaufentscheidungen ihren ökologischen Fußabdruck zu verkleinern. Erfunden wurde dieses Konzept vom Ölkonzern BP, um die Debatte von der Ölindustrie auf das Individuum zu lenken. Konsument*innen wurde jahrzehntelang erfolgreich eingeredet, dass sie sich schuldig machen, wenn sie nicht umweltschonend konsumieren. Auf dieser Gefühlsgrundlage können Unternehmen jetzt ihre greengewashten Produkte verkaufen.

Im Kreis sind eine Fabrik, zwei Stellwände, bei denen eine zeigt, dass die Fabrik Verantwortung übernimmt und die andere einen Fußabdruck, ein Kopf von einem Konsumenten, der fragend guckt, und Produkte mit Aufdruck von grünen Blättern abbildet.
Organisationen schaffen es, die Verantwortung auf individuelle Konsument*innen abzuwälzen.

3. Begriffe sind nicht definiert

Drittens ist Greenwashing auch deshalb so leicht, weil viele der Begriffe, die im Moment in der Nachhaltigkeitskommunikation genutzt werden, recht schwammig sind. „Nachhaltig“, „klimaneutral“, „klimapositiv“, „öko“, „fair“, „regenerativ“ – keines dieser Labels ist eindeutig definiert oder gar rechtlich bindend. Jedes Unternehmen benutzt die Begriffe so, wie sie ihm passen.

Gegenwärtig liegt viel Hoffnung auf einem Richtlinienvorschlag der EU – der Green Claims Directive –, die klare Kriterien dafür formuliert, wie in der EU vertreibende Unternehmen künftig über ihre eigene Nachhaltigkeit kommunizieren. Die müssen dann erfüllt sein, damit ein Produkt entsprechend beworben werden darf.5 Die Richtlinie muss noch beschlossen werden, aber der Entwurf zeigte bereits erste Wirkung: Zalando und About You z.B. haben „nachhaltige“ Werbeversprechen von ihren Websites entfernt.6

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Wie funktioniert regeneratives Wirtschaften?

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Alle drei Gründe tragen dazu bei, dass Greenwashing inzwischen normalisiert ist. Da Unternehmen im Kapitalismus in Konkurrenz zueinander stehen, scheint es für sie daher kaum eine andere Lösung zu geben, als sich nachhaltig zu geben – unabhängig davon, ob die Versprechen nur zum Teil oder aber gar nicht erfüllt werden. Selbst Unternehmen, die wirklich an ihrem Geschäftsmodell arbeiten, erliegen oft der Versuchung, zu übertreiben und die Einhaltung der eigenen Ansprüche nicht transparent zu kommunizieren. Wie können sie sich davon befreien?

Wie Organisationen Greenwashing selbst entlarven können

Solange es keine rechtlich verbindlichen Standards gibt, sollten Unternehmen selbst einen kritischeren Blick auf ihre Kommunikation werfen und Nachvollziehbarkeit für Kund*innen herstellen. Dafür sollten sie zunächst die eigenen Ziele definieren: Was muss erfüllt sein, damit wir uns als Unternehmen als nachhaltig begreifen? Das Ziel und die Fortschritte auf dem Weg dahin sollten dann klar und ehrlich öffentlich kommuniziert werden. Eine solche glaubhafte Nachhaltigkeitsstrategie kann das Vertrauen und Verständnis der Kund*innen möglicherweise sogar steigern.

Um Greenwashing auf die Spur zu kommen, helfen die Seven Sins of Greenwashing. Die Liste wurde 2007 von der Nachhaltigkeitsberatung TerraChoice zusammengestellt und bildet typische sprachliche Greenwashing-Muster ab.7 Eigentlich soll sie Konsument*innen dabei helfen, Greenwashing bei Unternehmen zu entlarven, aber Organisationen können sie ebenfalls benutzen, um sich bei jeder Kampagne, jedem Satz und jedem Wort selbst zu überprüfen: Begehen wir in unserer Kommunikation gerade eine der sieben Sünden?

Mehrere Supermarktprodukte, die alle ein Label mit einem grünen Blatt tragen

Die 7 Greenwashing-Sünden

1. Sünde des versteckten Kompromisses

Hervorheben umweltfreundlicher Produktmerkmale, um gravierendere umweltbelastende Produkteigenschaften zu verschleiern

Beispiel: Bei H&Ms Conscious-Kollektion wurde der Fokus darauf gelenkt, dass ein Teil der Kollektion aus Biobaumwolle besteht. Gleichzeitig bestand die Kollektion zu einem höheren Anteil aus fossilen Kunststoffen als die Hauptkollektion.8

2. Sünde des fehlenden Beweises

Aussagen, die nicht überprüft werden (können)

Beispiel: Nespresso wirbt mit recycelten Kaffeekapseln, äußert sich aber nicht konkret zum verwendeten Material.9

3. Sünde der Unklarheit

Schlecht definierte, sehr vage oder mehrdeutige Aussagen, die bei genauerer Betrachtung nicht viel bedeuten

Beispiel: Das Haarspray-Unternehmen TRESemmé hat in der Vergangenheit mit dem Begriff „natürlich“ geworben, ohne eine klare Definition oder Erklärung zu liefern, was genau damit gemeint ist. Auch synthetische Rohstoffe waren enthalten.10

4. Sünde der Irrelevanz

Werbung mit Informationen, die zwar wahr sind, aber keinen Nutzen für das Produkt haben

Beispiel: Die Supermarktkette Netto warb mit einer FCKW-freien Gefrierbox. Allerdings wurden Flurchlorkohlenwasserstoffe schon in den 1990er-Jahren aufgrund ihrer Auswirkungen auf die Ozonschicht international verboten.11

5. Sünde des kleineren Übels

Aussagen, die zwar wahr sind, aber von dem größeren Schaden, der durch das Produkt entsteht, ablenken

Beispiel: Coca-Cola wirbt mit recycelbaren Plastikflaschen, zählt aber gleichzeitig zu den größten Verursacher*innen von Plastikverschmutzung weltweit.12

6. Sünde des Flunkerns

Lügen, also das bewusste und absichtliche Verbreiten falscher Informationen oder Verzerren von Fakten

Beispiel: Angeblich erfüllten die Dieselfahrzeuge von Volkswagen die Emissionsstandards, in Wahrheit war aber eine Software installiert, die erkennen konnte, wann das Fahrzeug getestet wurde, und die Abgaswerte manipulierte.13

7. Sünde der Verehrung falscher Etiketten

Aussagen, die den Anschein erwecken, von außen ausreichend geprüft zu sein

Beispiele: Disney, Shell oder Gucci nutzen Klimaschutz-Zertifikate aus Waldschutzprojekten, die völlig überbewertet sind.14

Die Angst vor Komplexität und Unfertigem verlieren

Die Klimakrise ist komplex, und mögliche Lösungen müssen ständig angepasst, verbessert und teils neu erarbeitet werden. Das zeigt sich auch in den Maßnahmen von Unternehmen und sollte Teil ihrer Kommunikation sein: Doch dafür müssen Organisationen erst lernen, Komplexität und Unfertiges auszuhalten und zu kommunizieren.

Für uns alle ist es ein Prozess, uns von den bestehenden Lebens- und Produktionsweisen zu lösen und neue, bessere Wege zu finden. Sein eigenes Geschäftsmodell kritisch und ehrlich zu hinterfragen, muss der erste Schritt werden, den Unternehmen auf diesem Weg gehen.

Takeaways

-> Greenwashing wird oft als Kavaliersdelikt abgetan. Dabei wird damit Klimaschutz unterminiert.

-> Die bestehenden Wettbewerbs- und Werbelogiken führen dazu, dass Organisationen Greenwashing betreiben müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

-> Dem entkommen Unternehmen, indem sie das eigene Geschäftsmodell hinterfragen, transparent bleiben und lernen, Komplexität und Unfertiges auszuhalten und zu kommunizieren.

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