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Bill Gates und Elon Musk in einem Gemälde, vor ihnen knien Engel
Kinski meets McKinsey

Warum einsame Unternehmer-Helden ein Märchen sind

Eigentlich fokussieren wir uns eher auf die halb vollen als auf die halb leeren Gläser. Doch manche Dinge machen uns wütend. Deshalb gibt es die Kolumne „Kinski meets McKinsey“, mit der wir unserer Wut Luft machen. Diesmal: Lasst uns aufhören, Geschichten von genialen Erfindern und heldenhaften Unternehmern zu erzählen!

Wir leben noch immer im Zeitalter von Heldengeschichten:1 Früher waren es Drachentöter, heute sind es einsame Genies und hochbegabte Unternehmer, die aus ihren Garagen heraus im Alleingang die Welt verändern. Wer kennt nicht die Geschichten von Bill Gates und Elon Musk, die mit der Kraft ihrer Ideen zu unglaublichem Reichtum gekommen sind? Die die Geschicke unserer Welt stärker prägen als jede*r Staatspräsident*in, und das alles nicht als gewählter Politiker, sondern als self-made man?

Dass diese Geschichten ein großer Schwindel sind, wird viel zu selten erzählt. Die Wahrheit müsste nämlich damit anfangen, die Geschichte von Bill Gates als die eines ungewöhnlich privilegierten Menschen zu erzählen. Der aus einer schwerreichen Familie kam, die ihm ein Studium an einer der teuersten Universitäten der Welt finanzieren konnte. Wo er dann zur richtigen Zeit am richtigen Ort war und einer der wenigen Menschen, die Zugang zu den besten Computern der damaligen Zeit hatten. Dessen Mutter, die im Aufsichtsrat großer Banken saß und bestens vernetzt war, dem jungen Start-up Microsoft Kontakt zu IBM verschaffte?

„Don't ever call me a self-made man. Once you realize that you are the product of a lot of help, you will acknowledge that you must help others.“
Arnold Schwarzenegger

Oder Elon Musk, Kind einer ebenfalls sehr reichen südafrikanischen Familie, die ihr Vermögen unter anderem mit Smaragdminen und vermutlich der Ausbeutung afrikanischer Arbeiter*innen gemacht hat?2 Der Tesla, das Unternehmen, mit dem er berühmt geworden ist, gar nicht gegründet, sondern gekauft hat? Die Geschichten klingen plötzlich ganz anders als die des self-made man, der sich ganz alleine zu dem gemacht hat, was er heute ist und in einem fairen Wettbewerb durchgesetzt hat.

Der Mythos individueller Leistung

Das ist ein Teil der Lüge: Bei den Heldengeschichten wird gern verschwiegen, wie privilegiert die meisten schon waren, ehe sie ihre Heldentaten begangen haben. Die Geschichte des self-made billionaires klingt viel schöner als die des reichen Sohns, der das Familienvermögen mehrt und gern die Kontakte und Privilegien der Eltern dazu gebraucht. Der eben nicht im fairen Wettbewerb mit anderen antritt, sondern da startet, wo andere in einer Lebensspanne niemals hinkommen können.

Der zweite Teil der Lüge ist der, dass natürlich der Anteil, den Menschen wie Bill Gates oder Elon Musk am Erfolg ihrer Unternehmungen haben, nicht sehr groß ist: Zum einen sind sie nur eine von Hunderttausenden Personen, die an diesen Unternehmungen arbeiten. Zum anderen nutzen sie zu großen Teilen die Infrastruktur, die mit Steuergeldern bereitgestellt wird, kommerzialisieren Technologien, die mit Steuergeldern finanziert wurden. Und nehmen auch gerne finanzielle Förderungen und günstige Kredite vom Staat mit.

Elon Musk in einem Gewand mit einer aufgeschlagenen Bibel, in der zwei Dollarzeichen sind

Wie die Ökonomin Mariana Mazzucato zeigt, nehmen erfolgreiche Gründer und Investoren gerne für sich in Anspruch, große Risiken in Kauf genommen zu haben, die nun ihren großen Reichtum rechtfertigen sollen. Einerseits ist überhaupt fraglich, wie riskant es für eine Person aus einer reichen Familie ist, ein Unternehmen zu gründen. Und andererseits zeigt Mazzucato, dass die wirklich riskanten technologischen Wetten meistens mit Steuergeldern finanziert werden. Die Unternehmer und Investoren treten erst auf den Plan, wenn die größten Unsicherheiten aus dem Weg geräumt sind und die Kommerzialisierung losgehen kann.

Die Rechtfertigungs-Maschine

Warum wird dieses Helden-Narrativ trotzdem so bereitwillig erzählt und weitergegeben? Ich glaube, es gibt dafür eine relativ einfache Erklärung: Wir leben in einem Zeitalter stetig zunehmender Ungleichheit. Die Reichsten werden immer reicher und ein immer größerer Teil der Menschheit lebt in relativer Armut. Dass Menschen wie Elon Musk und Bill Gates so unfassbar reich und einflussreich werden können, ist nicht gottgegeben und hat auch nur zu einem geringen Teil mit ihrer eigenen Begabung zu tun. Es folgt schlicht aus der Tatsache, dass die derzeitigen Umstände diese ungewöhnlich große Ungleichheit erlauben.

Elon Musk ist auf dem besten Weg, den sagenhaften Reichtum Jakob Fuggers zu erreichen. Der Banker des Mittelalters, der nach einigen Quellen als reichster Mensch aller Zeiten gilt (Könige und andere Alleinherrscher ausgenommen), besaß ein Vermögen, das 2 Prozent der damaligen Wirtschaftsleistung Europas entsprach. Elon Musk liegt aktuell bei ca. 1,1 Prozent der amerikanischen Wirtschaftsleistung, zeitweise lag er schon bei 1,5 Prozent.3

Die Wahrheit ist so deprimierend, dass sie keine*r hören will.

Warum also die Helden-Geschichte? Weil die Wahrheit so deprimierend ist, dass sie keine*r hören will. Wir Menschen wollen in dem Glauben leben, die Welt, in der wir leben, sei gerecht. Das geht nur, wenn das Ergebnis (jemand ist sehr reich) auch zur Erklärung passt (die Person hat es sich verdient). Wenn beides nicht zusammenpasst, entsteht kognitive Dissonanz, die ist unangenehm und möchte aufgelöst werden. Daher sind wir sehr anfällig für die Helden-Geschichten: Sie erlauben es uns, eine Welt wahrzunehmen, die unseren Erwartungen entspricht.

Und da wir heute in einer Zeit leben, in der Gleichheit und Chancengleichheit als Werte gelten, auf denen unsere Gesellschaft beruht, würde es jede Menge Kopfschmerzen bereiten, bei jedem Superreichen sofort zu denken, er sei ein Ganove, der sich eine Position erschwindelt hat, die ihm nicht zusteht. Niemand möchte gern in einer Welt leben, in der die Karten schon vor der Geburt gemischt sind, also erzählen wir uns zumindest Geschichten, die anders lauten.

Aber wir erzählen uns diese Geschichten nicht nur selbst, um unsere kognitive Dissonanz aufzulösen. Sie werden uns auch erzählt. Anand Giridharadas bspw. argumentiert in seinem Buch Winners Take All, dass z.B. philanthropische Aktivitäten, wie die von Bill Gates mit seiner Stiftung, im Grunde große PR-Kampagnen sind, um uns das Gefühl zu geben, alles sei in Ordnung und wir müssten nicht an der Sinnhaftigkeit des immensen und immens ungerechten Reichtums zweifeln. Für Giridharadas ist Philanthropie keine Folge von großem Reichtum, sondern schlicht ein Bestandteil seiner Rechtfertigungsmaschine.

Was Hans kann, kann Hänschen schon lange

Im Kleinen setzt sich das fort, wenn wir die Geschichten von erfolgreichen Gründern weitererzählen, die den Markt für irgendwas revolutioniert haben. Auch deutsche Start-ups erzählen gerne die Heldengeschichten ihrer Gründer und reproduzieren damit den Mythos, dass die Leistung einiger weniger so viel wichtiger wäre als derjenigen, die in Wahrheit den allergrößten Teil der Arbeit machen.

Ein Kind, das auf Geldmünzen sitzt und eine Krone auf den Kopf bekommt

Ob der Motor für diese Selbstdarstellung das übergroße Gründerego oder PR-Strategie ist, ist dabei egal: Die Menschen sehen das Unternehmen als das Werk der immergleichen privilegierten jungen Männer, die behaupten, für den Erfolg verantwortlich zu sein, und dann auch selbstbewusst den Profit einstecken, sobald welcher anfällt.

Dass das viel beschworene Risiko auf dem Weg dahin vor allem die Menschen tragen, die im Unternehmen arbeiten, wird gern verschwiegen. Meist wird sogar das genaue Gegenteil behauptet, was mir persönlich noch nie eingeleuchtet hat: Die Menschen, die alle Informationen haben und genau wissen, wann das Unternehmen pleite sein wird, haben doch ein viel geringeres Risiko als die, die von heute auf morgen entlassen werden. Vor allem, wenn das Gründerteam aus reichem Hause stammt, also keine ernsthaften Folgen zu fürchten hat, selbst wenn das Unternehmen scheitert.

In fast jedem Unternehmen gibt es dieses Muster im Kleinen: Der Chef, der gerne die Leistungen des Teams als seine verkauft. Der*die Assistent*in oder der*die Werkstudent*in, deren Arbeit gar nicht erst erwähnt wird. Der*die Ghostwriter*in und Co-Autor*innen, deren Beitrag nicht oder nur in einem Nebensatz erwähnt wird, obwohl sie die ganze oder den Großteil der Arbeit gemacht haben. Das mag im Einzelfall als Kleinigkeit erscheinen, doch es ist immer Teil eines Systems, das alles andere als gerecht ist.

Wie kommen wir aus dem Märchenzeitalter heraus?

Das Helden-Narrativ ist eine große Lüge und indem wir sie glauben und weitererzählen, reproduzieren wir ein ungerechtes System. Ich empfehle daher, immer skeptisch zu sein, wenn ihr von heldenhaften Alleingängen hört. Hinter jedem erfolgreichen Gründer gibt es ein Team, das die eigentliche Arbeit macht. Wer das nicht zugibt, ist kein Held, sondern vor allem schlecht im Teilen. Es gibt ihn nicht, den self-made man. Jede*r ist das Kind seiner Umstände, und jede*r steht auf den Schultern von denen, die seinen Erfolg möglich gemacht haben.

Hinter jedem erfolgreichen Gründer gibt es ein Team, das die eigentliche Arbeit macht. Wer das nicht zugibt, ist kein Held, sondern vor allem schlecht im Teilen.

Die Frage bei alledem ist vor allem die: In was für einer Welt wollen wir leben? In einer, in der Wohlstand und Macht einigermaßen gleich verteilt sind? In der auch die Schwächeren ein Stück vom Kuchen abbekommen? Wer so eine Welt will, muss erwachsen werden und andere Geschichten erzählen: Wen bewundert ihr, weil er*sie etwas für andere getan hat? Wer ist gut darin zu teilen und auch anderen Macht und Erfolg zu gönnen?

Wenn ihr im Kleinen von Heldengeschichten und Alleingängen hört, lohnt es sich oft zu fragen: Was genau war dein Beitrag? Wer war noch involviert? Wie viel hättest du wirklich ganz alleine umsetzen können? Wer nicht versteht, dass seine Leistungen immer auf den Schultern von anderen stattfinden, hat ein verzerrtes Bild von sich selbst und der Welt, in der er lebt. In jedem Fall solltet ihr eins nicht tun: ihn bestätigen, indem ihr seine Heldengeschichte weitererzählt.

Ich finde in dem Zusammenhang immer ein Bild hilfreich, das mir eine Freundin im Studium mit auf den Weg gegeben hat: Wenn man den Käse von einem Käsebrot nimmt, wie viel Prozent vom Käsebrot bleiben dann übrig?

Eine Statue, die sich zu einer Käsescheibe hin streckt

Takeaways

  • Die Geschichte vom einsamen Helden ist aus der Zeit gefallen: Sie trägt vor allem dazu bei, ungerechte Verhältnisse zu rechtfertigen.
  • Die wahren Geschichten sind weniger spektakulär, aber gesünder: Erfolg ist immer eine Gemeinschaftsleistung und hängt viel von Zufällen und Privilegien ab.
  • Wenn du Heldengeschichten hörst, sei skeptisch und frag nach: Wie lautet die ganze Geschichte? Welche Teile wurden weggelassen oder beschönigt und wer hat auch einen Beitrag geleistet?

FUßNOTEN

  • 1

    Wir sprechen hier bewusst von Helden und nicht von Held*innen, weil diese Geschichten zu allem Überfluss auch noch einen starken Maskulinitätsdrall haben.

  • 2

    Elon Musk bestreitet das heute, obwohl er es selbst in früheren Interviews gesagt hat. Teilweise sind diese verschwunden.

  • 3

    Dem Magazin Forbes zufolge stand Elon Musk im Mai 2022 bei geschätzten 220 Mrd. US-Dollar, in 2021 wurde sein Vermögen auf über 300 Mrd. US-Dollar geschätzt. Das amerikanische BIP liegt bei ca. 20 Bio. US-Dollar. Das Vermögen von Musk hat sich dabei von ca. zwölf Mrd. US-Dollar in 2015 bis heute fast verzwanzigfacht.

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