Gewaltfreie Kommunikation hilft uns, Gefühle von Pseudogefühlen zu unterscheiden, Bedürfnisse zu erkennen und mit anderen über sie zu sprechen. Wer ihre Prinzipien verinnerlicht, muss nicht auf schablonenhafte Formulierungen zurückgreifen.
„Gewaltfreie Kommunikation” – klingt ziemlich dramatisch, oder? Als würden wir uns sonst mit Worten die Schädel einschlagen. Der Psychologe Marshall B. Rosenberg 1war tatsächlich überzeugt, dass wir uns beim Kommunizieren gegenseitig viel Leid zufügen: Weil wir häufig aus Schuld oder Scham handeln (oder nicht handeln), und dadurch drängende Bedürfnisse unterdrücken. Schlimmstenfalls könne das eben in drastische körperliche Gewalt umschlagen 2. Um das zu verhindern, hat Rosenberg die Gewaltfreie Kommunikation (GFK) entwickelt – und sie in verschiedenen Kontexten angewandt: in Familien und Schulen, in Unternehmen, in der Politik, und sogar in Kriegs- und Krisengebieten wie Ruanda und den palästinensischen Gebieten 3. GFK ist allerdings mehr als eine Methode zur Konfliktbewältigung. Sie hilft uns dabei, unsere Gefühle als Ausdruck von Bedürfnissen zu lesen und zu kommunizieren und so unsere Beziehungen offener und einfühlsamer zu gestalten.
Die Gewalt in unserer Alltagssprache
Doch was genau findet Rosenberg eigentlich gewaltsam an unserer Alltagskommunikation? Er nennt vier Denk- bzw. Kommunikationsmuster, die uns von Gefühlen und Bedürfnissen abschneiden – von denen unserer Mitmenschen, aber auch unseren eigenen.
1. Vorschnell Urteile fällen
Wir fällen ständig Urteile – über andere, aber auch über uns selbst: Wer detaillierter arbeitet als ich, ist pingelig. Wer langsamer ist, ist lahm. Wer mir sagt, was ich nicht hören will, ist gemein. Wenn ich etwas nicht gleich verstehe, sage ich mir, wie dumm ich war. Wenn ich motivationslos bin, halte ich mich für faul. Von einer kleinen, flüchtigen Beobachtung schließen wir auf die Persönlichkeit einer Person, machen daraus ein Charakteristikum. Diesem Vorgehen liegt laut Rosenberg das Bedürfnis zugrunde, dass alle entsprechend den eigenen Werten leben. Tragischerweise führten solche Urteile aber zu Abwehr und Widerstand.
2. Vergleiche anstellen
„Mozart komponierte schon mit fünf Jahren seine ersten Stücke und ich kann nach drei Jahren Klavierunterricht noch immer nicht Für Elise spielen.“ Auch Vergleiche sind für Rosenberg eine Form der Verurteilung. Menschen, deren Lebensumstände wir nicht (gut) kennen, ziehen wir als Maßstab für den Erfolg von Menschen heran, deren Lebensumstände wir gut kennen (inklusive uns selbst) – und bemerken den Fehlschluss nicht einmal. Und überhaupt: Was genau soll ein Vergleich bringen, außer Schuld- und Schamgefühle? Ich werde nicht zum besseren Komponisten, indem ich mir vorhalte, was Mozart als Kind schon zustande gebracht hat. Vergleiche sind für Rosenberg eine verlässliche Methode, Einfühlsamkeit zu blockieren und sich dabei auch noch richtig mies zu fühlen.
3. Verantwortung leugnen
„Man muss tun, was man tun muss.“ „Befehl von oben.“ „Firmenpolitik.“ „Das ist Gesetz.“ Solche Aussagen setzen das Befolgen von Regeln und Normen als höchsten Wert und negieren individuelle Verantwortung. Wenn wir uns diese Tatsache nicht bewusst machen, handeln wir gefährlich, ist Rosenberg überzeugt – und deshalb sollten wir die Verantwortung für unser Tun möglichst in unserer Sprache abbilden. Eine Lehrerin zum Beispiel, die nicht gerne Noten vergibt, es aber dennoch tut, weil so die Vorschriften der Schule sind, sagt auf Rosenbergs Rat hin: „Ich entscheide mich, Noten zu geben, weil ich meinen Job behalten möchte.“ Eine solche Sprache betone bestehende Wahlmöglichkeiten – auch, wenn sie begrenzt oder die Folgen drastisch sind.
4. Wünsche als Forderungen formulieren
Was ist der Unterschied zwischen einer Forderung und einer Bitte? Eine Forderung lässt kaum Raum für Ablehnung – bzw. wird das Nicht-Befolgen mit Strafe oder Schuldzuweisung belegt. Das wiederum verletzt die individuelle Autonomie und schadet letztlich der Beziehung der Beteiligten. Rosenberg schließt daraus, dass es keine berechtigten Forderungen gibt. Was radikal ist, denn Forderungen sind allgegenwärtig, in der Erziehung („Putz dir ordentlich die Zähne!“, „Räum endlich dein Zimmer auf!“, „Sei doch nicht ständig am Handy!“), aber auch in hierarchisch organisierten Unternehmen („Projekt Doomsday ist bis morgen fällig!“, „Die Powerpoint muss heute finalisiert werden!“). Laut Rosenberg liegt solchen Formulierungen ein negatives Menschenbild zugrunde, die Vorstellung, man müsse Menschen durch Zwang formen 4. Eine echte Bitte dagegen sei daran erkennbar, dass man sie abschlagen kann, ohne Sanktionen fürchten zu müssen.
Auch Vergleiche sind für Rosenberg eine Form der Verurteilung. Menschen, deren Lebensumstände wir nicht (gut) kennen, ziehen wir als Maßstab für den Erfolg von Menschen heran, deren Lebensumstände wir gut kennen – und bemerken den Fehlschluss nicht einmal.

Die vier Schritte der GFK
Wie gelingt also eine Sprache, die einfühlsam ist? Und die tief in unser (kulturelles) Gedächtnis eingeschriebenen Denkmuster überwindet? Rosenberg hat dafür Kommunikationsprinzipien aufgestellt und eine Methode entwickelt, die ihre Einhaltung erleichtert. Die Methode ist im Grunde eine geführte Reflexionsübung mit dem Ziel, den Blick schweifen zu lassen; vom Außen (Beobachtung) ins Innere (Gefühl, Bedürfnis) und dann wieder zum Außen (Bitte).
1. Beobachten, ohne zu bewerten
Anwenden sollten wir die Methode immer dann, wenn jemand unser Wohlbefinden stört und wir den Impuls haben, das Verhalten dieser Person zu ändern 5. Trotz des Störgefühls sollten wir in solchen Situationen zunächst nur bei der Beobachtung bleiben: Was sehe, höre, berühre ich? Wenn wir das Beobachtbare unmittelbar bewerten, ist es uns später kaum noch möglich, die Beobachtung von unserer Bewertung zu trennen. Außerdem führt das dazu, dass unser Gegenüber unsere „Beobachtung“ als Kritik hören und abwehren wird.
Wie kann es also gelingen, zu beobachten, ohne zu bewerten? Die Beobachtung sollte auf eine bestimmte Zeit und eine Situation bezogen sein. Die Dinge sollten also konkret benannt und nicht generalisiert oder zugespitzt werden.
Trotz des Störgefühls sollten wir in Situationen, in denen wir den Impuls spüren, das Verhalten einer Person zu verändern, zunächst nur bei der Beobachtung bleiben: Was sehe, höre, berühre ich?
Übung 1: Markiere die Sätze, die nur beobachtend sind.
- Gestern Abend um 22 Uhr warst du mir gegenüber völlig grundlos wütend.
- Ich komme oft zu spät.
- Du warst diese Woche jeden Tag der Erste in der Schlange der Kantine.
- Jasper hat gesagt, Rot steht mir nicht besonders.
Wenn ich mit dir spreche, klagst du eigentlich immer.
Auflösung
- Auch wenn die Zeitangabe konkret ist, ist „völlig grundlos“ eine Wertung. Der beschriebene Gemütszustand enthält ebenfalls eine Interpretation. Besser wäre: „… hast du mit der Faust auf den Tisch geschlagen.“
- Das Wörtchen „oft“ kommt ohne konkrete Situation aus und ist eine Interpretation, weil der Maßstab für „oft“ im Auge des*der Betrachters*in liegt, selbst wenn man sich selbst meint.
- Wenn du diesen Satz markiert hast, sind wir uns einig.
- Wenn du diesen Satz markiert hast, sind wir uns einig.
- Hier steckt fast in jeder Silbe eine Bewertung. „Wenn ich mit dir spreche“ und „eigentlich immer“ sind verallgemeinernd und sollten durch konkrete Zeitrahmen oder Situationen ersetzt werden, „klagen“ ist eine Interpretation, die durch Beschreibungen ersetzt werden sollte, z.B.: „Die letzten drei Male, die wir uns getroffen haben, hast du mir von Situationen berichtet, in denen du dich traurig und verängstigt gefühlt hast.“
Nach der Beobachtung geht es darum, die eigenen Gefühle wahrzunehmen.

2. Gefühle erkennen und benennen
Rosenberg konstatiert, dass wir ein extrem begrenztes Vokabular zur Beschreibung unserer Gefühlswelt haben. Und das sei kein Wunder. Schon als Kinder würden wir trainiert, uns zu fragen, was andere von unserem Benehmen halten und danach zu handeln, anstatt mit uns selbst in Kontakt zu treten. In seinem Buch beschreibt Rosenberg, er habe als Kind seinen Schmerz so zu unterdrücken gelernt, dass er wochenlang mit gebrochener Hand Baseball spielte.
Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass wir häufig Begriffe für unsere Emotionen nutzen, die gar keine echten Gefühle ausdrücken. Wendungen wie „Ich habe das Gefühl, dass …“ warten häufig mit Interpretationen, also Bewertungen auf: „Ich habe das Gefühl, dass du mich ignorierst“ oder auch „ … dass du es besser wissen solltest“. Auch „Ich fühle mich nicht gesehen/gehört“ ist kein Ausdruck tatsächlicher Gefühle, sondern Interpretation des Verhaltens anderer und ein impliziter Vorwurf. Rosenberg nennt sie Pseudogefühle.
Stattdessen kommt es darauf an, die Beobachtung und das Gefühl zu trennen, und damit bei sich zu bleiben: „Während unserer bisherigen Unterhaltung hast du in viele Richtungen geschaut, aber kaum in meine. Ich bin blockiert, weil ich bezweifle, dass ich deine volle Aufmerksamkeit habe.“
Wir haben ein extrem begrenztes Vokabular zur Beschreibung unserer Gefühlswelt. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass wir häufig Begriffe für unsere Emotionen nutzen, die gar keine echten Gefühle ausdrücken.
Übung 2: Markiere die Sätze, die echte Gefühle ausdrücken 7.
- Ich habe das Gefühl, du schätzt meine Arbeit nicht wert.
- Ich bin traurig, dass du uns verlässt.
- Du bist furchterregend.
- Ich fühle mich von deiner Arbeit inspiriert.
- Als du mich übergangen hast, fühlte ich mich herabgesetzt.
Auflösung
- Der Satz drückt die Gedanken des*der Sprechers*in über jemand anderen aus. Besser wäre: „Ich bin enttäuscht, weil ich mir mehr Anerkennung für meine Arbeit wünsche.“
- Wenn du diesen Satz markiert hast, sind wir uns einig.
- Auch hier äußert der*die Sprecher*in Gedanken über eine andere Person und bleibt nicht bei sich. Besser wäre: „Ich fürchte mich, wenn du sowas sagst.“
- Wenn du diesen Satz markiert hast, sind wir uns einig. (Auch wenn wir hier eine Wendung haben, die in der Regel Signal ist für ein Pseudogefühl, äußert der*die Sprecher*in hier ein genuines Gefühl.)
- Der*die Sprecher*in äußert hier wertende Gedanken über das Verhalten einer anderen Person. Gefühle, die hier eigentlich wirken, können Verwirrung, Verunsicherung, Trauer oder ein Gefühl der Ohnmacht sein.
Wir Menschen, und gerade Männer, tun uns schwer damit, Gefühle zu erkennen und mit anderen zu teilen. Insbesondere, weil wir bewusst oder unbewusst Sorge haben, es könnte als Schwäche interpretiert werden. Bei Konflikten wirkt Offenheit aber entwaffnend. Sie hilft dem Gegenüber, sich in die eigene Gemütslage wohlwollend einzufühlen.

3. Bedürfnisse identifizieren
Natürlich beeinflussen andere mit ihrem Verhalten unsere Stimmung. Das ist ein weiterer Grund dafür, dass wir dazu neigen, unsere Gefühlslage in Pseudogefühlen auszudrücken. Rosenberg macht hier aber eine wichtige Unterscheidung: „Was andere sagen oder tun, kann Auslöser für unsere Gefühle sein, ist aber nie die Ursache.“ Die Ursache ist immer ein ungestilltes Bedürfnis, das in uns selbst liegt.
Als unangenehm empfundene Gefühle sind also wichtige Signale, die auf ein unbefriedigtes Bedürfnis hinweisen 8. Wer einsam ist, könnte ein Bedürfnis nach Verbindung haben. Wer traurig ist, braucht vielleicht Verständnis. Helfen können dabei zwei Fragen: Was bräuchte ich, damit es mir in Bezug auf das unangenehme Gefühl besser geht? Was ist mir gerade wichtig?
Alle Menschen teilen nach Rosenberg dieselben Grundbedürfnisse, etwa Verbindung, Sicherheit und Anerkennung. Konflikte entstehen nicht durch die Verschiedenheit der Bedürfnisse, sondern durch verschiedene Strategien ihrer Erfüllung. Indem wir die Aufmerksamkeit auf das Gemeinsame lenken, also die Bedürfnisse, kann eine einfühlsame Verständigung gelingen. Solange wir uns aber nur auf die Strategien fokussieren, scheint der Konflikt unauflöslich. Wenn sie zum Feierabend Heavy Metal auf maximaler Lautstärke hören will, er aber in Ruhe ein Buch lesen möchte, sind das zwei gegensätzliche Strategien zur Erholung (dem zugrundeliegenden Bedürfnis), die unvereinbar scheinen. Zu begreifen und zu kommunizieren, dass man im Grunde dasselbe Bedürfnis hat und nur unterschiedliche Strategien wählt, es zu befriedigen, schafft erst einmal Verbindung. Auf dieser Grundlage können die Konfliktparteien einfühlsam miteinander sein und daran arbeiten, dass die Strategien sich nicht länger in die Quere kommen, oder eine neue Strategie suchen, die beiden taugt. (Sie könnte Kopfhörer nutzen, er könnte einen Spaziergang machen und im Park lesen. Oder sie gehen zusammen auf ein Konzert einer Singer-Songwriterin.)
Alle Menschen teilen dieselben Grundbedürfnisse, etwa Verbindung, Sicherheit und Anerkennung. Konflikte entstehen nicht durch die Verschiedenheit der Bedürfnisse, sondern durch verschiedene Strategien ihrer Erfüllung.
Übung 3: Markiere die Sätze, die Bedürfnisse auf Basis echter Gefühle formulieren.
- Du bringst mich zur Verzweiflung, weil du noch immer nicht verstehst, wie Notion funktioniert.
- Du machst mich glücklich, du bist einfach die allerbeste Kollegin.
- Als ich heute Morgen gemerkt habe, dass du nicht, wie vereinbart, die Aufgabe erledigt hast, habe ich mich geärgert, weil mir Verbindlichkeit wichtig ist.
- Ich hatte gehofft, dass ich zu diesem Zeitpunkt mit diesem Artikel schon viel weiter wäre. Jetzt fühle ich mich entmutigt, weil ich Inspiration und Leichtigkeit brauche.
- Ich bin so froh, dass du die Auszeichnung gewonnen hast.
Auflösung
- Hier stimmt leider gar nichts. Der*die Sprecher*in übernimmt keine Verantwortung für seine*ihre Gefühle. Auch ein Bedürfnis wird nicht geäußert.
- Das klingt sehr nett, folgt aber nicht den Regeln der GFK. Der*die Sprecher*in macht die Kollegin für sein Glück verantwortlich und sagt nichts darüber, welche Bedürfnisse er*sie durch welches Verhalten befriedigt sieht.
- Wenn du diesen Satz markiert hast, sind wir uns einig. Hier passt alles!
- Wenn du diesen Satz markiert hast, sind wir uns einig. (Eleganter wäre aber die Formulierung gewesen: „Ich bin entmutigt …“)
- Ein echtes Gefühl ist benannt, aber das Bedürfnis fehlt. Preise sind doch kein Selbstzweck! Du könntest den Satz wie folgt ergänzen: „ … weil mir der Erfolg und die Anerkennung meiner Liebsten wichtig sind.“
Doch auch wenn wir wertfrei eine Beobachtung geschildert, ein echtes Gefühl ausgedrückt und ein Bedürfnis formuliert haben, können wir nicht erwarten, dass unser Gegenüber versteht, was wir uns wünschen.

4. Bitten konkret formulieren
Der vierte Schritt der GFK besteht darin, eine Bitte in klarer, positiver und konkreter Handlungssprache zu formulieren. Das ist gar nicht so einfach. Oft wissen wir selbst nicht, was wir eigentlich wollen, und verkleiden unsere Bitte in wertende Beschreibungen wie: „Bitte sei doch etwas selbstständiger, cooler, vernünftiger, rebellischer, klüger, rücksichtsvoller …“
Je genauer wir wissen, was wir uns wünschen, desto besser können wir darum bitten, desto eher werden unsere Wünsche wahr. Es gibt einen Comic, in dem ein Ertrinkender Lassie zuruft: „Lassie! Get help!!“, worauf die Hündin im nächsten Bild auf der Couch eines Psychotherapeuten liegt. Die Bitte an sie war nicht konkret genug formuliert, da „Get help“ im Englischen sowohl „Hol Hilfe!“ als auch „Hol dir Hilfe!“ heißen kann. Besser wäre also gewesen: „Lassie, bitte laufe schnell los und sage der nächsten Person, die du findest, dass ich am Ertrinken bin, damit sie herkommt und mich rettet.“
Eine Bitte allein reicht häufig aber nicht. Wir sollten ihr Kontext geben, und zwar durch unsere Gefühle und Bedürfnisse – sonst klingt sie schnell nach einer Forderung. Helfen kann außerdem, das Gegenüber die eigene Bitte wiederholen zu lassen, zum Beispiel so: „Ich sorge mich, dass ich mich nicht verständlich ausgedrückt habe. Könntest du zur Sicherheit meine Bitte in deinen Worten wiederholen?“
Eine Bitte in klarer, positiver und konkreter Handlungssprache zu formulieren, ist gar nicht so einfach. Oft wissen wir selbst nicht, was wir eigentlich wollen.
Übung 4: Markiere die Sätze, die konkret und positiv um etwas bitten.
- Ich wünsche mir, dass du aufrichtiger bist.
- Sei bitte nicht so ungeduldig.
- Ich hätte gerne, dass du mehr Care-Arbeit übernimmst.
- Bitte nenne mir eine Sache, die du an mir schätzt.
- Seid doch so lieb und klärt das eigenverantwortlich miteinander.
Auflösung
- Diese Bitte ist zwar positiv formuliert, aber nicht konkret. Besser wäre: „Ich wünsche mir, dass du mir ehrlich sagst, was du von meinem Vorschlag hältst.“
- Dieser Satz ist nicht konkret und enthält sogar eine doppelte Verneinung. Bei einer Bitte zum Unterlassen ist eine negative Formulierung jedoch ausnahmsweise erlaubt, wenn es zum Verständnis beiträgt. „Bitte gib mir bis 14 Uhr Zeit, ohne nochmal nachzufragen.“
- Hier wiederum bleibt vage, was mit Care-Arbeit genau gemeint ist und wie viel davon der*m Sprecher*in genügen würde. Besser wäre: „Ich wünsche mir, dass du die Spülmaschine ausräumst, wenn sie voll ist, und zweimal die Woche die Pflanzen im Büro gießt.“
- Wenn du diesen Satz markiert hast, sind wir uns einig.
- Auch hier bleibt im Ungefähren, was mit „das“ gemeint ist und wie eine „eigenverantwortliche“ Klärung aussieht. Besser wäre: „Bitte klärt den Konflikt in einem separaten Termin.“

Alle vier Schritte im Beispiel
-
Beobachten, ohne zu werten
„Bartholomäus, in letzter Zeit bekomme ich von dir sehr kurze E-Mails ohne Anrede oder Grußformel, wie gestern zum Projektbericht: ‚Bis morgen fertigstellen.‘“ -
Echte Gefühle ausdrücken
„Das verunsichert und irritiert mich, weil … -
Bedürfnis identifizieren
… ich Klarheit brauche, ob es besonders dringend ist oder ob du unzufrieden mit meiner Arbeit bist. Zudem ist mir ein respektvoller, wertschätzender Umgang wichtig.“ -
Konkrete Bitte formulieren
„Könntest du dir vorstellen, künftig eine kurze Anrede zu verwenden und vielleicht ein paar Sätze zum Rahmen der Anfrage zu ergänzen?“
So gehst du mit Allergiker*innen um
Aber was machen wir, wenn unser Gegenüber schon genervt die Augen verdreht, wenn wir unseren Satz ganz sachlich mit „Ich beobachte …“ beginnen? Trotz der Bekanntheit der GFK existiert häufig ein eher oberflächliches Verständnis der Methode: Viele haben den Namen schon gehört und kennen vielleicht noch grob die vier Kommunikationsschritte. Rosenbergs Grundannahmen aber sind den meisten nicht bekannt.
Ich glaube, dass Menschen daher oft mit Abwehr und Widerstand reagieren – ich war nämlich selbst so jemand. Ich war nicht bereit, mich auf die GFK einzulassen, weil ich die Prämisse unserer ach so gewaltsamen Sprache nicht teilte. Es ist ein bisschen so, als würde man eine Bitte formulieren, ohne den Kontext, die Gefühle und Bedürfnisse zu erläutern: Es kann leicht als Forderung verstanden werden, einer dogmatischen Sprachregelung zu folgen. Wo wir uns ja sowieso schon schwertun, Veränderungen zu akzeptieren, wie die anhaltenden Debatten über das Gendern zeigen – selbst wenn sie gut begründet sind.
Die GFK kann wie eine Beschränkung und Beschneidung der Sprache wirken. Dabei ist sie das Gegenteil davon: Sie hilft uns, eigene Bedürfnisse zu erkennen, ihnen nachzugehen und zugleich ein besseres Gespür für die Bedürfnisse anderer zu bekommen. Es geht darum, Beziehungen zu gestalten, die auf Offenheit und Einfühlsamkeit beruhen, Gemeinsamkeiten anstelle von Unterschieden zu betonen. Darauf sollten wir uns besinnen, wenn wir mit Menschen zu tun haben, die die Augen rollen oder allergische Pusteln bekommen, sobald sie „GFK“ hören.
Ausdrücke wie „Ich beobachte … Ich fühle … Mein Bedürfnis nach … Ich bitte dich …“ sind nur Erinnerungsstützen. Viel wichtiger ist, …
- bei Beobachtungen nicht zu interpretieren. Und diese Beobachtungen mit der betreffenden Person abzugleichen, also überhaupt zu sprechen.
- eigene Gefühle von Gedanken und Interpretationen über die Verhaltensweisen und Absichten der betreffenden Person zu trennen.
- in sich zu gehen und hinter den Gefühlen liegende Bedürfnisse aufzuspüren. Du musst Bedürfnisse nicht explizit benennen. Statt „Ich habe ein Bedürfnis nach Erholung“ kannst du auch einfach „Mir sind Pausen wichtig“ sagen.
- Bitten konkret und positiv zu formulieren.
Beispiel einer entformalisierten Bitte, die GFK im Geiste trägt und keine Pickel verursacht
GFK erfordert Übung, und gerade in sehr hitzigen Situationen kann es schwierig sein, sich an die Prinzipien Rosenbergs zu halten – das ging ihm selbst auch so. Doch Übung hilft, zum Beispiel, um für sich selbst noch einmal aufzudröseln und zu analysieren, ob die Beobachtung wirklich ganz wertfrei war und die Gefühlsbeschreibung tatsächlich ganz ohne Pseudogefühl und Angriff auskam. Doch auch, wenn es am Anfang nicht so leicht ist: Mehr über Gefühle und Bedürfnisse zu sprechen, ist für Beziehungen sehr bereichernd – unter Arbeitskolleg*innen, Freund*innen und in der Familie.
Input-Geberin
FUßNOTEN
- 1
Marshall Rosenberg war ein US-amerikanischer klinischer Psychologe. Er wurde 1934 in Canton, Ohio, geboren und starb 2015 in Albuquerque, New Mexico. Bekanntheit erlangte er vor allem durch die GFK. ↩
- 2
Diese Ansicht teilt auch Angela Merkel. In einem Appell mahnte sie anlässlich 30 Jahre deutscher Einheit: „Achtet auf die Sprache. Denn die Sprache ist sozusagen die Vorform des Handelns.“ Wenn die Sprache erstmal auf die schiefe Bahn geraten sei, wäre auch die Gewalt nicht mehr fern. Deshalb solle man „sehr achtsam“ mit den Worten umgehen. YouTube: Tag der Konrad-Adenauer-Stiftung 2020: 30 Jahre Deutsche Einheit ↩
- 3
Jim Lemkin: Beyond Believe ↩
- 4
Laut Rosenberg schneide man Menschen dadurch von ihren Gefühlen und Bedürfnissen ab und produziere „schwache, unterwürfige[.] Bürger“, was hierarchische Gesellschaften stütze. Wer jedoch in Kontakt mit seinen Gefühlen und Bedürfnissen sei, aus dem werde kein*e gute*r Befehlsempfänger*in mehr. ↩
- 5
Zugleich lässt sich GFK auch für angenehme Gefühle einsetzen; um einfühlsam mitzuteilen, dass unsere Bedürfnisse erfüllt sind. So wird ein Lob („Das hast du toll gemacht“) zu einer Wertschätzung („Ich freue mich sehr, dass du eingekauft und gekocht hast, weil mein Hunger gestillt ist und ich mich nun entspannen kann“). ↩
- 6
Selbst ein Satz wie „Ich fühle mich als Redakteur unzulänglich“ zeugt eher von einem generalisierenden Denken über sich selbst. Ausdruck tatsächlicher Gefühle wären Sätze wie: „Ich bin frustriert/ungeduldig/verzweifelt über einen Artikel, in dem ich die Methode der GFK nahebringen möchte.“ ↩
- 7
Bevor du spickst: Wirf einen Blick in unser Cheat-Sheet, wenn du dir bei einzelnen Gefühlen nicht sicher bist. Dort haben wir viele echte und Pseudogefühle aufgelistet. ↩
- 8
Übrigens weisen auch angenehme Gefühle auf Bedürfnisse hin, und zwar, dass diese gerade erfüllt sind. ↩
- 9
Danny Shanahan: Lassie Get Help ↩