In manchen Berufen sind Wut, Trauer oder Verzweiflung kein Ausnahmezustand, sondern Berufsalltag. Drei Menschen erzählen, wie sie damit umgehen und welche Unterstützung sie dafür brauchen.

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Abo sichern„Manchmal weine ich mit den Eltern mit.“
Madelaine, Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin für pädiatrische Intensivpflege
Ich arbeite seit vielen Jahren auf einer Kinderintensivstation.
Außenstehende sagen manchmal: „Kinderkrankenpflege, das ist doch nur Pflaster kleben oder Haare kämmen.” Tatsächlich ist meine Arbeit sehr komplex und anspruchsvoll. Wenn ich mich um Frühgeborene kümmere, muss ich Medikamente auf die Nachkommastelle genau berechnen. Kleinste Fehler können lebensbedrohlich sein. Das ist eine enorme Verantwortung. Das Ärzt*innenteam kommt kurz zur Visite, wirft mit einem Haufen Fachbegriffe um sich, und ist dann schnell wieder weg. Wir Pflegekräfte sind viel näher an den Kindern und Eltern dran und müssen vieles auffangen. Wenn jemand laut oder abweisend wird, denke ich daran, dass sich diese Person gerade in einer emotionalen Ausnahmesituation befindet. Das hilft mir, empathisch zu bleiben und eine professionelle Distanz zu wahren.
Die meisten Kinder bei uns auf der Station genesen wieder, aber es kommt auch vor, dass Kinder sterben. Das ist jedes Mal sehr schwer. Manchmal weine ich dann mit den Eltern. Wir nehmen uns in den Arm und trauern gemeinsam. Gelegentlich werde ich sogar zu Beerdigungen eingeladen. Eltern sagen mir dann, dass es ihnen geholfen hat, dass ich mitgeweint habe. Dadurch sei alles menschlicher geworden. Manche Kolleginnen weinen nie auf Station, auch das ist in Ordnung. Früher ging es mir genauso. Aber mit der Geburt meiner eigenen Kinder hat sich etwas verändert: „Das könnte mein Kind sein”, denke ich dann oft. Dadurch verstehe ich auch die Ängste der Eltern besser, wenn nur ein Routineeingriff ansteht, der medizinisch wenig Anlass zur Sorge gibt.
Trotz dieser emotionalen Belastung kann ich meine Arbeit gut von meinem Privatleben trennen. Sobald ich die Station verlasse, beginnt mein eigenes Leben. Das gelingt mir vor allem, weil ich ein klares Credo habe: reden, reden, reden. Ich tausche mich regelmäßig mit Kolleginnen aus oder nutze das Supervisionsangebot. Dort sprechen wir mit externen Fachleuten über belastende Situationen: Was ist passiert? Wie haben wir gehandelt? Was hätten wir anders machen können? Im stressigen Arbeitsalltag fehlt dafür oft die Zeit und wir müssen schnell Entscheidungen treffen. Umso wichtiger ist es, das im Nachgang aufzuarbeiten. Außerdem gibt es bei uns auf der Station eine Psychologin. Gerade bei Todesfällen entlastet das enorm. Sie hilft uns auch, den Eltern im Nachgang zu erklären, warum wir bestimmte Entscheidungen getroffen haben.
Trotz der Unterstützungsangebote ist der Job sehr fordernd. Der Schichtdienst ist schwierig mit dem Familienleben in Einklang zu bringen. Manchmal denke ich deshalb darüber nach, meinen Job zu wechseln. Aber meine Arbeit erfüllt mich. Ich weiß, dass ich sie sehr vermissen würde. Es ist wertvoll zu sehen, dass die eigene Arbeit das Leben vieler Menschen verbessert.
Wenn jemand laut oder abweisend wird, denke ich daran, dass sich diese Person gerade in einer emotionalen Ausnahmesituation befindet.
Madelaine
„Ich wollte wissen, ob ich das aushalten kann.“
Ilva*, Rechtsreferendarin bei der Staatsanwaltschaft
Ich stehe am Ende meiner juristischen Ausbildung und habe mein Referendariat unter anderem bei der Staatsanwaltschaft absolviert. Wenn alles gut läuft und ich meine Prüfungen bestehe, bin ich bald Volljuristin. Jura ist ein Marathon. Zwar gibt es mittlerweile Seminare zum Umgang mit Stress und Arbeitsbelastung – aber in der Ausbildung hat niemand die Zeit dafür. Die meisten sind komplett vom Lernstoff vereinnahmt.
Auch während meines Referendariats bei der Staatsanwaltschaft war ich häufig Stress ausgesetzt. Einmal war ich als Sitzungsvertretung bei einer Verhandlung, die acht Stunden dauerte. Ich musste die ganze Zeit konzentriert bleiben und am Ende mein Plädoyer halten. Ich war im Vorfeld extrem nervös. Meine Ausbilderin hatte mir ihre Telefonnummer gegeben und gesagt, dass ich bei Unsicherheiten um Unterbrechung bitten und sie dann anrufen könne. Das hat mir viel Sicherheit gegeben, auch wenn ich den Anruf letztlich nicht gebraucht habe.
Ich habe in der Abteilung für Sexualstrafsachen gearbeitet. Die Abteilung hatte ich bewusst ausgesucht: Ich wollte herausfinden, ob ich diese Themen aushalten kann – und ich bin an meine Grenzen gestoßen. Vor allem als Frau sind mir viele Fälle sehr nahegegangen. Darüber habe ich viel mit meiner Ausbilderin gesprochen und so mit der Zeit gelernt, mit diesen Fällen umzugehen. Ich würde nicht sagen, dass ich abgestumpft bin, aber ich habe gelernt, mit emotional fordernden Fällen, wie Vergewaltigungen, umzugehen.
Was mir außerdem geholfen hat: Meine Ausbilderin hat mir angeboten, Fälle abzulehnen, wenn sie zu belastend sind. Ich habe das Angebot nie in Anspruch genommen, doch es hat mir gezeigt, dass ich meine Grenzen wahren darf. Auch zu spüren, wie sinnvoll und wirksam meine Arbeit sein kann, half mir, die Herausforderungen zu bewältigen. In einem Fall glaubte eine Zeugin aufgrund der dünnen Beweislage nicht daran, dass es zu einer Anklage kommen würde. Wir haben es trotzdem geschafft. Genau solche Momente machen die Arbeit besonders. Zu sehen und zu erleben, wie ein kleiner Durchbruch das Leben eines Menschen grundlegend verändern kann. Das ist wirklich etwas ganz Besonderes.
Auch zu spüren, wie sinnvoll und wirksam meine Arbeit sein kann, half mir, die Herausforderungen zu bewältigen.
Ilva
„Jemand hat mir detailgenau beschrieben, wie er mich umbringen möchte.“
Alex*, Sozialarbeiterin im Jugendamt
Ich bin Sozialarbeiterin im Jugendamt. Wenn bei uns eine Meldung eingeht, prüfe ich mit meinem Team und den betroffenen Familien, ob der Kinderschutz gewährleistet ist und welche Hilfestellungen wir anbieten können. Doch viele Familien fürchten das Jugendamt. Das erzeugt Widerstand und ich muss mir das Vertrauen der Familien häufig erst erarbeiten.
Das Schwierigste an meinem Job ist, Entscheidungen gegen den Willen der Eltern und Kinder zu treffen. Wenn ein Kind fremduntergebracht werden muss zum Beispiel. Ich wurde deshalb schon heftig bedroht: Jemand hat mir detailliert beschrieben, wie er mich umbringen möchte. Glücklicherweise arbeite ich nie alleine an einem Fall. Es sind immer mindestens zwei Sozialarbeiter*innen, meistens aber ein ganzes Team daran beteiligt.
Zusätzlich haben wir regelmäßige Sicherheitsschulungen: Welche Gegenstände gehören in ein Büro, welche nicht? Wie verhalte ich mich in brenzligen Situationen? Das beginnt bereits in der Gesprächsplanung: Wo ist die Tür? Wo sitze ich oder meine Kolleg*innen? Wenn wir wissen, dass das Aggressionspotenzial hoch ist, können wir Polizist*innen oder Sicherheitspersonal zur Unterstützung hinzuziehen. In unseren Büros vermeiden wir persönliche oder potenziell gefährliche Gegenstände wie Scheren.
Ich glaube, dass die meisten Eltern wirklich gute Eltern sein wollen, auch wenn ihr Verhalten problematisch ist. Ich versuche zu verstehen, warum sie so handeln, wie sie handeln. Oft steckt viel Hilflosigkeit dahinter. Und meistens richtet sich aggressives Verhalten gegen die Situation und nicht gegen mich persönlich. Wenn ich mit einer Familie nicht weiterkomme, kann es auch zu einem Zuständigkeitswechsel kommen.
Ich habe gelernt, meine eigenen Grenzen zu respektieren. Viele Eltern erwarten bei Umgangs- und Erziehungsfragen sofort Hilfe und einen Termin. Das kann ich nicht leisten. Ich erkläre dann, wann ich erreichbar bin und dass sie mir eine E-Mail schreiben oder auf den Anrufbeantworter sprechen sollen, um einen Rückruftermin zu vereinbaren. In akuten Situationen, wie bei häuslicher oder sexualisierter Gewalt, müssen wir uns auf die betroffene Familie konzentrieren. Dafür müssen wir auch geplante Termine absagen. Das ist für manche Eltern frustrierend und schwer nachvollziehbar. Nach Feierabend haben mein Partner und ich eine Regel: Wir sprechen maximal 30 Minuten über die Arbeit. Außerdem schalte ich meinen Dienstlaptop und das Diensthandy vollständig aus.
Im Kinderschutz bekommen wir oft nicht direkt mit, was unsere Arbeit tatsächlich bewirkt. Oft dauert es mehrere Jahre, bis echte Veränderungen einsetzen. Aber es ist jedes Mal schön, wenn sich Familien bedanken oder sie anderen Familien von unserer Arbeit erzählen, die sich dann von sich aus bei uns melden und nach Hilfe fragen. Oder wenn Kinder Bilder malen und schreiben: „Danke, jetzt habe ich ein gutes Leben.“ Das berührt mich sehr.
Glücklicherweise arbeite ich nie alleine an einem Fall.
Alex
Anmerkung der Redaktion
- Der Name wurde von der Redaktion geändert. Die Interviewpartnerin möchte aus persönlichen Gründen anonym bleiben. Ihr echter Name ist der Redaktion bekannt.