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Eine Person trägt ein Amazon-Paket von einem Lieferwagen, der Rauch ausstößt, in einen glitzernden Elektrowagen
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Wie sich Amazon als Vorreiter in Klimafragen inszeniert

Amazon behauptet, die Welt klimaneutral zu machen. Allerdings nutzt das Unternehmen Schlupflöcher bei der Berechnung seiner Treibhausgasemissionen. Das Protokoll, das diese Schlupflöcher ermöglicht, wird von Amazon mitfinanziert.

Amazon ist, gemessen am Umsatz, das viertgrößte Unternehmen der Welt und das größte US-Unternehmen in Deutschland. Laut eigenem Bericht hat Amazon 2019 weltweit 51 Millionen Tonnen CO2e emittiert – mehr als ganz Schweden (50 Millionen Tonnen). Kritiker*innen halten aber auch diese Zahl noch für deutlich untertrieben. Immer wieder wird das Unternehmen für sein klimaschädliches Verhalten gerügt. Etwa, weil Amazon zurückgesendete Neuwaren systematisch vernichten lässt, in einer einzigen Anlage wöchentlich bis zu 130.000 Artikel. Aber auch, weil der Klimaschutzplan des Unternehmens ambitionslos sei.

Erst nachdem mehr als 1.500 Angestellte mit Streik drohten, sofern Amazon seine Emissionen nicht reduziert, versprach Jeff Bezos, das Problem anzugehen.

Was Amazon sagt: Wir gehen voran, um die Welt CO2-neutral zu machen

Ende 2019 verkündete Bezos dann Pläne, die nach einer 180-Grad-Wende klangen: „Wir wollen unsere Größe und unsere Reichweite nutzen, um voranzugehen.“2 Amazon solle zum Vorbild werden.

Seit drei Jahren bilanziert Amazon seine Emissionen. Der Bericht für das Jahr 2022 trägt den Titel „Building a better future“ – ihm zufolge ist Amazon auf dem richtigen Weg. Die Vize-Chefin der Nachhaltigkeitsabteilung, Kara Hurst, schließt die Einleitung des Berichts mit den Worten, das Unternehmen wolle sicherstellen, „den Planeten wieder auf den richtigen Weg zu bringen“, sodass „alle zukünftigen Generationen in gesunden, prosperierenden Gemeinschaften leben können“. Und auf seiner Website für Nachhaltigkeit verkündet Amazon, den CO2-Fußabdruck bereits in allen Betriebsabläufen gesenkt zu haben. Das Unternehmen gehe voran, „um die Welt CO2-neutral zu machen“.

Ein weißer Handschuh hält einen funkelnden Zauberstab

Was Amazon tut: Nutzt Schlupflöcher beim Berechnen der Treibhausgasemissionen

Den Nachhaltigkeitsberichten ist zu entnehmen, dass Amazon es bisher nicht geschafft hat, seine Emissionen zu senken: 2022 hat Amazon 71 Millionen Tonnen CO2e ausgestoßen, etwa 40 Prozent mehr als drei Jahre zuvor. Ein Blick in den Klimabericht des US-Discounters Target, der sowohl im Umsatz als auch in der Mitarbeiter*innenzahl deutlich kleiner ist als Amazon, lässt diese Zahl jedoch unrealistisch erscheinen: Target weist in seinem Klimabericht höhere CO2-Emissionen aus als Amazon.3

Als ein Investor im April 2023 Amazon aufforderte, alle Emissionen zu messen und offenzulegen, die in der Wertschöpfungskette entstehen, blockierte das Unternehmen den Vorschlag. Laut eigener Aussage erfüllt Amazon von der Industrie gestützte Standards.4

2022 hat Amazon 71 Millionen Tonnen CO2e ausgestoßen, etwa 40 Prozent mehr als drei Jahre zuvor.

Was sind von der Industrie gestützte Standards?

Damit bezieht sich Amazon auf den Greenhouse Gas Protocol Corporate Standard, der als Standardwerk für die Erfassung und Berichterstattung von Emissionen für Organisationen jeglicher Art dient, von NGOs über Unternehmen bis hin zu Behörden. Das GHG-Protokoll ist freiwillig, wird aber laut eigenen Angaben schon seit 2016 von über 90 Prozent der Fortune-500-Unternehmen, die ihre Emissionen berechnen, genutzt.

Das GHG-Protokoll soll Organisationen dabei unterstützen, ihre Emissionen zu ermitteln und darauf aufbauend effektive Strategien für deren Reduzierung zu entwickeln. Es unterteilt die Emissionen in drei Bereiche, sogenannte Scopes.

  • Scope 1 umfasst Emissionen, die eine Organisation wie Amazon direkt verantwortet, zum Beispiel die der Fahrzeugflotte.
  • Scope 2 umfasst indirekte Emissionen, wozu eingekaufter Strom zählt. Den bezieht Amazon laut Nachhaltigkeitsbericht zu 90 Prozent aus erneuerbaren Energien.
  • Scope 3 umfasst alle indirekten Emissionen entlang der gesamten Wertschöpfungskette: etwa den Pakettransport von Subunternehmen oder den Bau von Server-Farmen.
Eine Grafik zeigt die Emissionen von Amazon in den Scopes 1, 2 und 3, wobei bei Scope 3 ein Großteil von einem Tuch verdeckt ist

Was ist das Problem?

Problematisch ist, dass das GHG-Protokoll teilnehmenden Unternehmen freistellt, ob sie Scope-3-Emissionen vollständig, teilweise oder gar nicht angeben. Dabei sind diese Emissionen im Schnitt für 75 Prozent der Unternehmensemissionen verantwortlich, bei Handelsunternehmen wie Amazon sogar für über 95 Prozent.

Ein Beispiel

Unternehmen können ihre laut GHG-Protokoll berichtspflichtigen Emissionen effektiv senken, indem sie die Produktion auslagern und somit von Scope 1 auf Scope 3 verlagern. Dadurch entfällt die Notwendigkeit, diese Emissionen im Bericht anzugeben. Obwohl sich in der Realität nichts verändert hat, ist auf dem Papier der Ausstoß von Treibhausgasen reduziert.

Eine schematische Darstellung, wie Emissionen von Scope 1 durch Outsourcing zu Scope 3 werden

Unternehmen wählen also ausgerechnet für den Bereich, in dem die meisten Emissionen anfallen, selbst, welche sie veröffentlichen möchten. Für Menschen, die nicht das Kleingedruckte im Klimabericht und Hunderte Seiten Protokoll lesen, wirkt es hingegen so, als wären die gemachten Angaben vollständig.

Bei Amazon ist es nicht anders. Das Unternehmen unternimmt nicht einmal den Versuch, alle Emissionen in Scope 3 anzugeben. Der Corporate Climate Responsibility Monitor 2023, der die Klimaschutzpläne der 23 größten Unternehmen untersucht, urteilt, dass bei Amazon „die wichtigsten Emissionsquellen in S[cope] 3 fehlen“, und bescheinigt dem Unternehmen fehlende Transparenz und Integrität.

Auf Anfrage bestätigt uns ein Sprecher, dass Amazon die „Lebenszyklusemissionen aller Produkte der Marke Amazon“ berücksichtige, also alle Emissionen, die bei der Herstellung, Nutzung und Entsorgung von Amazon-Produkten anfallen. Dabei verschweigt er allerdings, dass 99 Prozent der bei Amazon vertriebenen Produkte von anderen Marken stammen.

Ein Baum ist in drei Kästen eingeschlossen mit den Ziffern 1, 2 und 3. Eine Säge setzt zwischen 2 und 3 an.

Es bräuchte einen Standard, der Vergleichbarkeit, Transparenz und Glaubwürdigkeit schafft. Das gelingt dem GHG-Protokoll nicht. Zwar gibt es inzwischen ein weiteres Protokoll, das die Berichterstattung nur in Bezug auf Scope 3 standardisieren soll. Das ist jedoch nicht in den GHG Protocol Corporate Standard, das Basisprotokoll, übernommen worden. Organisationen können sich aussuchen, welchen sie verwenden.

Wie kann es sein, dass der weltweit meistgenutzte Standard für die Angabe von CO2-Emissionen an entscheidender Stelle so unverbindlich bleibt?

Amazon finanziert das GHG-Protokoll

„Das GHG-Protokoll ist aus einem regulatorischen Vakuum entstanden“, sagt Klimaschutzexpertin Varena Junge. Unternehmen wie General Motors und BP haben sich mit der Denkfabrik World Resources Institute (WRI) und dem World Business Council for Sustainable Development (WBCSD) zusammengetan, um einen Standard zu entwickeln. „Natürlich auch mit dem Ziel, das Thema der politischen Regulatorik vorwegzunehmen und so großen Einfluss auf den Standard zu nehmen“, sagt Junge.

Bis heute koordinieren das WRI und der WBCSD, dem Amazon und etwa 200 andere Unternehmen angehören, die Weiterentwicklung des GHG-Protokolls. Finanziert wird es von zehn Geldgeber*innen. Darunter: Amazon und der Bezos Earth Fund, die private Stiftung von Jeff Bezos. Die Frage, inwiefern Amazon auf den Inhalt des GHG-Protokolls einwirkt, ließ der Sprecher unbeantwortet.

„Natürlich [tun sich Unternehmen zusammen] mit dem Ziel, das Thema der politischen Regulatorik vorwegzunehmen und so großen Einfluss auf den Standard zu nehmen.“
Varena Junge
Ein Schema zeigt, das Amazon in vielfacher Weise mit dem GHG Protocol verwoben ist

Zum Weiterlesen

Andrew Ramonas von Bloomberg Law zeigt, wie stark sich die US-Behördenaufsicht bei der Erstellung eigener Regeln am GHG-Protokoll orientiert.

Will Evans von Reveal rechnet vor, was Amazon im Vergleich zu anderen Unternehmen bei der Berechnung seiner Emissionen alles unterschlägt.

Mehrere Autor*innen von Correctiv decken auf, dass selbst der Tod eines*einer Mitarbeiters*Mitarbeiterin den Betrieb bei Amazon nicht ins Stocken bringt.

Illustriertes Portrait von Paul

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