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Eien Figur läuft aufgeregt durchs Büro, um eine andere nach dem Geschlecht zu fragen
Geschlechtergefühle

Fragwürdige Fragen

Neugier ist wichtig. In unserer Kolumne Geschlechtergefühle geht es dieses Mal darum, weshalb manche Fragen trotzdem nicht nur deplatziert, sondern diskriminierend und verletzend sind.

Ich sitze in einem Café einer mittelgroßen deutschen Stadt und starre konzentriert auf meinen Laptop. Es ist sonst kaum jemand da, bis auf eine Familie an einem Tisch in der anderen Ecke des Cafés; Vater, Mutter und zwei Kinder, die sich um den letzten Schluck Cola streiten. Irgendwann bemerke ich, dass der Mann aufgestanden ist und auf meinen Tisch zu läuft. An meinem Tisch angekommen beugt er sich zu mir herunter und fragt dann ganz höflich: „Entschuldigung, aber sind Sie eine Frau oder ein Mann?“

Ich bin ziemlich perplex, werde rot und ärgere mich gleichzeitig darüber. Ich finde die Situation absurd und habe keine gute Antwort parat. Die Frau schaut einmal kurz zu mir rüber und dann schnell aus dem Fenster. Ich habe so eine leise Ahnung, über was die Erwachsenen an dem Tisch gesprochen haben, während die Kinder sich über Cola gestritten haben.

Wie im Zoo

In unserer Gesellschaft weisen wir jedem Baby bei der Geburt ein Geschlecht zu, basierend auf körperlichen Merkmalen. Passen sie nicht zu dem, was die Medizin als weiblich und männlich definiert, wird schon das erste Problem herbei konstruiert, das keines sein müsste. In der Folge werden gesunde Kinder operiert, um sie diesen Vorstellungen eines weiblichen oder männlichen Körpers anzupassen. Möchte ein Mensch im Laufe seines Lebens nicht oder nicht vollständig die zugeschriebene weibliche oder männliche Geschlechterrolle ausleben, wird darum ein riesen Aufheben gemacht.

Dabei gibt es auf dieser Welt eine ganz schön beeindruckende Vielfalt der Körper und viele verschiedene Arten, Geschlecht auszudrücken. Die Brüste mancher Männer sind größer als die mancher Frauen, manche Frauen haben mehr Haare im Gesicht als manche Männer, manche Männer mögen Nagellack und manche Frauen auch. Manche Frauen haben Penisse, manche Männer haben Vulven – und manche Körper lassen sich gar nicht so leicht als das eine oder das andere klassifizieren, wie die Medizin das gerne hätte. Körper sind verschieden, Menschen sind verschieden und geschlechtlicher Ausdruck könnte ein selbstbestimmtes, vielleicht sogar kreatives Unterfangen sein – doch es gibt einen nicht versiegenden Eifer, Menschen entweder in die Kategorie Mann oder in die Kategorie Frau zu packen, ob im Kreißsaal oder im Supermarkt.

Eine Figur wird gegen den Willen in eine Geschlechterbox gestopft

Begriffsklärung

cis

Als cis können Menschen bezeichnet werden, die fröhlich in dem Geschlecht leben, das ihnen bei der Geburt zugeschrieben wurde.

trans

Trans beschreibt, wenn Menschen nicht in dem Geschlecht leben oder sich nicht mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugeschrieben wurde.

inter

Als inter oder intergeschlechtlich können Menschen bezeichnet werden, deren körperliches Geschlecht (beispielsweise die Genitalien oder die Chromosomen) von den medizinischen Normen abweichen, die für das weibliche und das männliche Geschlecht bestimmt wurden.

Bei Menschen, die von der Mann-Frau-Norm abweichen, weil sie uneindeutig aussehen, weil sie von einem binären Geschlecht ins andere wechseln, beides oder nichts von beidem sein wollen, wird Geschlecht, Körper und – obwohl es erst mal nichts miteinander zu tun hat – auch Sexualität in den absurdesten Situationen zum Thema gemacht. Sowohl fremde als auch mir bekannte Menschen stellen mir Fragen dieser Art. Sie zielen subtil oder weniger subtil auf meine Genitalien ab, meinen „echten“ Namen, sexuelle Vorlieben, wo (und wie) ich aufs Klo gehe, Operationen etc.

Diese Fragen werden mir nicht gestellt, weil die Menschen an mir als Individuum interessiert sind. Situationen, in denen ich ungeniert zu meinem Geschlecht oder meiner Sexualität befragt wurde, waren unter anderen: beim Schuhe-Kaufen, im Vorstellungsgespräch, im Supermarkt vor der Kühltheke, im Q&A zu meinem Vortrag über zukunftsfähigen Journalismus, und letzte Woche tatsächlich bei dem Versuch, mein Sofa über Ebay-Kleinanzeigen zu verkaufen. Sie wollen herausfinden, was ich als trans Person bin. Die Abweichungen von der Norm wird wie im Zoo begafft. Die, die sich näher an dem wähnen, was sich viele unter einer „richtigen Frau“ oder einem „richtigen Mann“ vorstellen, stehen am Rand und gucken, eben weil’s so spannend ist.

Grenzen erspüren

Die Momente sind unangenehm und respektlos, stressig und nervig – und unnötig! Die gestellten Fragen überschreiten eine Grenze. Die folgenden drei Fragen sollen dabei helfen, diese Grenze zu erspüren.

Warum brauche ich diese Information?

Ohne jede Frage, Menschen sind neugierig. Das ist gut und wichtig, so entdecken wir die Welt und setzen uns zu ihr in Beziehung. Fragen, die beginnen mit „Ich hoffe, ich bin nicht unhöflich, aber ich bin einfach neugierig“ verweisen allerdings darauf, das der*die Fragenstellende durchaus eine vage Ahnung hat, dass an dieser Frage etwas nicht in Ordnung sein könnte – die eigene Neugier aber für wichtiger hält als das Wohlbefinden der anderen Person. Wenn du also nur fragst, weil du neugierig bist, überlege, ob du eine Information auch woanders her bekommen kannst. Suchmaschinen sind deine Freund*innen und das Internet ist voll von Erfahrungsberichten wie diesem.

Auf der anderen Seite brauchen wir manchmal Informationen, wie Namen oder Pronomen, um respektvoll mit Menschen umgehen zu können. Diese Informationen zu erfragen zeugt von Wertschätzung.

Würde ich diese Frage einer cis Person in einer ähnlichen Situation stellen?

Die meisten Menschen scheinen im Allgemeinen ein ganz gutes Gespür dafür zu haben, wo die Grenze des Fragbaren liegt. Gegenüber manchen, zum Beispiel trans Personen, scheint die Hemmschwelle für viele aber niedriger zu liegen. Bevor du einer trans Person eine Frage stellst, frage dich daher kurz: Würde ich diese Frage auch einer cis Person stellen? Welche Fragen zu Körper, Operationen, Genitalien, Klopraktiken oder Sexleben würdest du ihnen stellen, ohne dich dabei merkwürdig zu fühlen? Seien wir ehrlich, es sind doch sehr wenige!

Würde ich mich wohlfühlen, wenn mir jemand in dieser Situation diese Fragen stellen würde?

Eine Figur betrachtet eine andere durch ein duales Geschlechtsfernglas

Ein bisschen Empathie schadet nie. Frage dich, was eine Frage in der anderen Person auslösen könnte und wie es dir damit gehen würde. Ich finde es super, wenn Menschen sich mit der Vielfalt der Geschlechter beschäftigen und daran arbeiten, eigene Vorstellungen zu hinterfragen. Ich möchte aber nicht immer Teil dieses Prozesses sein und wie mein Körper unter der Kleidung aussieht, geht sie einfach nichts an. Google hat keine persönlichen Grenzen, aber ich schon – und wahrscheinlich sind sie deinen sehr ähnlich. Oft geht es nicht nur darum, was gefragt wird, sondern auch von wem, wann und wie. Frage dich also zum Beispiel, unter welchen Umständen du es selbst okay fändest, wenn ein fremder Mensch dich in einem Café anspricht, um dich zu deinem Geschlecht oder Körper zu befragen.

Eine Figur fragt eine andere nach ihrem Geschlecht
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