Wenn in Teams emotionale Konflikte auftreten, schauen viele schnell zur Führungskraft. Dabei können alle zu einem guten emotionalen Miteinander beitragen und diese Fähigkeiten gezielt trainieren. Davon profitiert das gesamte Team.
Während Mina ihrem Team die neue Projektsoftware vorstellt, sprechen zwei Personen am anderen Ende des Tisches leise miteinander. Mina bemerkt es, sagt aber nichts. Sie will ihre Teammitglieder nicht vor allen ermahnen und hofft, dass sie von selbst aufhören. Das tun sie aber nicht. Mina wird innerlich immer unsicherer und beendet ihre Präsentation hastig: „Das wäre dann eigentlich schon alles.“ Den Rest des Meetings beantwortet sie Nachfragen nur kurz angebunden. Eine gedrückte Stimmung macht sich breit.
Diese Szene zeigt, wie leicht sich Unmut aufschaukeln kann. Die Kolleg*innen verhalten sich unhöflich und rücksichtslos, indem sie sich während der Präsentation unterhalten. Mina wiederum fehlt die kommunikative Sicherheit, dieses Verhalten freundlich, aber bestimmt anzusprechen.
Zu viel Last auf einzelnen Schultern
Alexandra Götzfried ist Führungs- und Teamcoachin für emotionale Kompetenz. In ihrem Arbeitsalltag beobachtet sie, dass diese vor allem von Führungskräften erwartet wird, um Konflikten am Arbeitsplatz vorzubeugen oder zu lösen. Trainings, die emotionale Kompetenz im ganzen Team fördern, kämen hingegen oft erst zustande, wenn Auseinandersetzungen eskalieren. Dabei sind viele Führungskräfte stark in operative Fachaufgaben eingebunden und haben kaum Zeit für die eigentliche Führungsarbeit. Wenn sie zusätzlich als alleinige Ansprechpersonen für emotionale Themen angesehen werden, wird die Belastung schnell groß.
In einer Untersuchung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin geben 53 Prozent der einfach qualifizierten Führungskräfte (Aufsichtskräfte in der technischen Produktionsplanung oder in Erziehung und Sozialarbeit oder Fahrzeugtechnik) und 41 Prozent der hoch qualifizierten Führungskräfte (in Einkauf, Vertrieb, Verkauf oder in der technischen Produktionsplanung) an, emotionalen Anforderungen ausgesetzt zu sein. Unter Beschäftigten ohne Führungsrolle sind es dagegen nur 24 Prozent. Bei anderen Stressfaktoren wie Zeitdruck oder Arbeitstempo wurden dagegen kaum Unterschiede zwischen den Gruppen festgestellt.
„Dabei geht viel Effektivität und Innovationskraft verloren“, warnt Ritter. Deshalb lohne es sich für Unternehmen, Teams in emotionaler Kompetenz zu schulen. Das entlaste nicht nur die Führungskraft, sondern fördere auch Selbstwirksamkeit und Verantwortung bei den Mitarbeitenden durch eine selbstverantwortliche Haltung: „Ich bin für meine Gefühle verantwortlich, nicht jemand anderes.”

Fehlen Teams emotionale Kompetenzen, entstehen schnell Konflikte und Missverständnisse
1. Unliebsame Emotionen können anstecken
Die Emotional Contagion Theory besagt, dass sich Emotionen innerhalb des Teams übertragen können. Sowohl positive als auch negative Stimmungen breiten sich aus und beeinflussen die gesamte Gruppendynamik. Diese emotionale Ansteckung erklärt, warum kollektives Jammern schnell um sich greift. Diese Dynamik kann sich mit der Zeit verselbstständigen und eine destruktive Grundstimmung verstärken, wenn sich anhaltend nur über Probleme ausgetauscht und aufgeregt wird, ohne sie zu lösen. Daher ist es entscheidend, dass jede Person reflektieren kann, was die eigenen Gefühle sind, und dafür Verantwortung übernimmt.
2. Nette Teams sind nicht immer gute Teams
Wenn Wohlfühlen zum Selbstzweck wird, entstehen laut Arbeits- und Organisationspsychologin Marie Ritter wenig leistungsorientierte Arbeitsgruppen – sogenannte Cozy Teams –, in denen durch falsche Rücksichtnahme Spannungen nicht mehr ausgesprochen werden oder mehr Leistung gefordert wird. Diese Teams arbeiten ohne Interesse an Veränderung Aufgaben ab und wissen nicht, auf welches Ziel sie überhaupt hinarbeiten. Konfliktvermeidung wird dann als Harmonie missinterpretiert. Was diesen Teams fehlt, ist die Kompetenz, Feedback auf wertschätzende Weise zu geben, Spannungen anzusprechen, ohne zu verletzen und so Weiterentwicklung zu ermöglichen. Das aber ist die Voraussetzung dafür, dass Einzelpersonen und ganze Teams lernen können.
3. Es tun sich Kommunikationsgräben auf
Ab einer bestimmten Teamgröße kann soziale Interaktion nicht mehr zwischen allen Teammitgliedern gleichmäßig stattfinden. Das begünstigt die Bildung von Subgruppen und kann zu Bruchlinien führen, so Ritter. Innerhalb dieser Gruppen funktioniert die Kommunikation gut, zwischen ihnen nicht. Das stört die Zusammenarbeit und beeinflusst die Leistung der Organisation. Die Subgruppen verlieren den Überblick für das große Ganze und entwickeln einen Ingroup-Bias: eine Tendenz, die eigene Gruppe zu bevorzugen und andere auszuschließen. In dieser Situation fehlt die Empathie, andere Perspektiven zu verstehen, auch wenn Teammitglieder nicht zur eigenen Gruppe gehören. Auch die Selbstwahrnehmung ist entscheidend: Nur wer eigene Vorbehalte reflektiert, wird sich konstruktiv bei anderen Teams einbringen können.
Ein Team wirkt immer gemeinsam
Eine theoretische Grundlage für den Umgang mit Emotionen am Arbeitsplatz bietet das Konzept der Emotionalen Intelligenz. Die US-amerikanischen Persönlichkeitspsychologen John D. Mayer und Peter Salovey definierten diese als „Teilmenge der sozialen Intelligenz, die sich speziell auf die Fähigkeit konzentriert, Emotionen wahrzunehmen, zu verstehen, zu steuern und effektiv zu nutzen”. Bekannt wurde der Begriff vor allem durch den Psychologen und Journalisten Daniel Goleman, der 1995 in seinem Bestseller EQ. Emotionale Intelligenz die These aufstellte, emotionale Intelligenz könne den Erfolg einer Person teilweise sogar stärker beeinflussen als der IQ. Im Kontext der Personalentwicklung wird heute häufig von emotionaler Kompetenz gesprochen, um die Veränderbarkeit und Trainierbarkeit dieser Fähigkeit stärker zu betonen.

Teams bestehen aber nicht nur aus einer Summe individueller Kompetenzen, sondern entwickeln in ihrem Miteinander eigene emotionale Dynamiken. Marie Ritter nennt dieses Phänomen Emergenz. Konstruktive Zusammenarbeit ist laut Ritter nur möglich, wenn alle Teammitglieder über die Fähigkeiten verfügen, mit Emotionen umzugehen und sich in sozialen Dynamiken zurechtzufinden. Emotionale Reaktionen haben immer auch soziale Auswirkungen – und umgekehrt. Ritter spricht daher von sozio-emotionaler Kompetenz. Dass ein Team diese Kompetenz hat, zeigt sich an …
… konstruktiver Kommunikation: Die Teammitglieder drücken einander ihre Wertschätzung aus und geben sich konstruktives Feedback. Alle Teammitglieder schenken der sprechenden Person die volle Aufmerksamkeit und führen keine Seitengespräche.
… bewusstem Umgang mit destruktivem Verhalten: Im Team herrschen gemeinsame Standards bzw. Regeln dazu, wie mit übermäßigem Jammern, Tadeln oder respektlosem Verhalten umzugehen ist. Betroffene sprechen Probleme lösungsorientiert an, anstatt diese Aufgabe der Führungskraft zu überlassen.
… und Unterstützungsangeboten: Die Teammitglieder unterstützen einander bei schwierigen Aufgaben und beim Überbrücken von Hindernissen, ohne dass es explizit angeordnet werden muss.
Fehlt diese gemeinsame Basis, entstehen laut Ritter Leerstellen: Spannungen und Missverständnisse häufen sich. Im Arbeitsalltag ließe sich das am besten in Meetings beobachten. Hier zeige sich, ob ein Team gut zusammenarbeiten kann oder eine Ansammlung von Einzelkämpfer*innen ist.
Schlüsselkomponenten Emotionaler Intelligenz nach Daniel Golemann
So stärken Teams ihre emotionalen Fähigkeiten
Meetings sind gleichzeitig der Ort, an dem ihr die sozio-emotionale Kompetenz eures Teams trainieren könnt, indem ihr zum Beispiel kleine Übungen in eure Check-ins oder Retrospektiven einbaut. Folgende Übungen könnt ihr selbstständig im Team durchführen oder im Rahmen von Team-Coachings von externen Trainer*innen anleiten lassen. Coachings sind vor allem dann sinnvoll, wenn sich einzelne Teammitglieder mit den Übungen schwertun. Manche fürchten, sich zu privat oder verletzlich zu zeigen, und sorgen sich vor der Bewertung anderer.
Übung 1: Emotionalen Wortschatz trainieren
Wie fühlst du dich heute? Gut, schlecht, müde oder gestresst. Diese Antworten greifen oft zu kurz. Wer gestresst sagt, meint vielleicht eher überfordert, aufgewühlt oder irritiert. Teamcoachin Götzfried empfiehlt daher, den emotionalen Wortschatz zu erweitern, etwa bei Check-ins, Retros oder Feedbackrunden. Wer Gefühle präzise benennen kann, versteht sich selbst besser und kann gegenüber anderen klarer kommunizieren. Ein erster Schritt ist, sich die verschiedenen Nuancen von Emotionen bewusst zu machen und verschiedene Emotionen voneinander zu unterscheiden. Im Beratungsalltag arbeitet Götzfried dafür mit Kartensets und darauf aufbauend mit dem Emotion Wheel oder dem Mood Meter.
Wer Gefühle präzise benennen kann, versteht sich selbst besser und kann gegenüber anderen klarer kommunizieren.

Übung 2: Emotionen sichtbar machen
Sobald ihr als Team euren emotionalen Wortschatz trainiert habt, könnt ihr die Übung erweitern. Mithilfe des Mood Meter zum Beispiel lassen sich emotionale Stimmungsbilder mit den Gefühlslagen aller Teammitglieder erstellen. Das eignet sich nicht nur als Warm-up für ein Meeting, sondern gibt Anlass für gezieltes Nachfragen. Etwa, wenn sich emotionale Belastungen häufen oder sich Stimmungslagen im Team verfestigen.
So funktioniert's:
- Hängt ein Mood Meter im Raum auf, zum Beispiel als Poster oder packt es auf ein digitales Whiteboard.
- Jedes Teammitglied erhält einen Klebezettel mit eigenem Marker. Wenn ihr die Übung virtuell macht, zieht jede Person ein Icon auf das passende Feld oder markiert es.
- Beantwortet nun die Frage: Wie fühlt ihr euch gerade? Die Teilnehmer*innen platzieren ihre Namenskarte auf dem Feld, das ihrer aktuellen Gefühlslage entspricht. Optional könnt ihr in einer zweiten Runde nach abgeschlossenen Projekten oder zu festgelegten Terminen im Quartal fragen: „Wie hast du dich zuletzt im Team gefühlt?” oder „Wie hast du dich zuletzt mit deiner Arbeit gefühlt?”, um situative und strukturelle Stimmungen zu unterscheiden. Das setzt allerdings eine hohe psychologische Sicherheit im Team voraus.
- Wenn ihr euer Teambild fertig habt, sollte sich das Team oder die Führungskraft fragen:
- Was fällt auf? Gibt es Cluster und überwiegen bestimmte Emotionen?
- Was heißt das für die Zusammenarbeit? Gibt es Handlungsbedarf?
- Welche Begriffe fehlen vielleicht noch im Vokabular des Teams?
Um ein gutes Gespür für das emotionale Erleben zu entwickeln, solltet ihr diese Übung regelmäßig durchführen (z.B. als festen Bestandteil in eurem wöchentlichen Teammeeting). Auch Projekte durchlaufen emotionale Phasen: vom euphorischen Kick-off bis zum stressigen Endspurt. Diese Gefühle wirken über das Projektende hinaus und können sich auf die innere Bereitschaft auswirken, sich auf neue Projekte einzulassen. Deswegen ist es hilfreich, Gefühle auch in Retrospektiven zu thematisieren. Eine emotionale Retrospektive ergänzt die üblichen Retro-Fragen (Was lief gut? Was können wir beim nächsten Mal besser machen?) um die Frage der Emotionen: Wie haben wir uns wann gefühlt und warum?
Mit dieser Methode schult ihr mehrere Fähigkeiten: Ihr lernt, die eigenen Gefühle besser wahrzunehmen, euch in andere hineinzuversetzen und Zusammenhänge zwischen einzelnen Projektphasen und Gefühlen zu erkennen. Teams profitieren dadurch nicht nur fachlich von ihren abgeschlossenen (oder auch gescheiterten) Projekten.
So erstellt ihr eine emotionale Projektlandkarte
Übung 3. Emotionen für gute Zusammenarbeit festlegen
Auf der nächsten Stufe legt ihr fest, welche Werte und Normen ihr euch als Team geben wollt. Götzfried hat dafür eine Lieblingsübung: das Emotional Culture Canvas, mit dem Teams festlegen, welche Emotionen sie für gute Arbeit brauchen und welche sie daran hindern.
So erstellt ihr ein Emotional Culture Canvas
Das braucht ihr:
- Flipchart, Pinnwand oder digitales Whiteboard
- Post-its in verschiedenen Farben und Stifte
1. Phase: Individuelle Reflexion
Jede*r notiert für sich fünf Emotionen, die für jede*n ganz persönlich erfolgreiche Teamarbeit fördern, und fünf Emotionen, die hinderlich sind.
Beispiele für hilfreiche Emotionen: Neugier, Vertrauen oder Begeisterung
Beispiele für hinderliche Emotionen: Angst, Frustration oder Langeweile
Aus jeder Liste wählt jede*r die drei wichtigsten Emotionen aus und notiert, warum diese Emotionen relevant sind.
Phase 2: Teamaustausch
Jede*r stellt die sechs ausgewählten Emotionen vor. Sammelt alle vorgestellten Emotionen (z.B. am Smartboard) und clustert anschließend ähnliche Emotionen. Findet einen Konsens über fünf Emotionen, die euch als Team dienen und fünf Emotionen, die euch eher schaden.
Phase 3: Verhaltensebene definieren
Positive Verhaltensweisen für jede hilfreiche Emotion identifizieren:
- Woran erkennen wir diese Emotionen in unserem Arbeitsalltag?
- Welche konkreten Verhaltensweisen fördern diese Emotion?
- Beispiel Vertrauen: Wir hören einander zu Ende an, geben ehrliches Feedback, und halten getroffene Zusagen ein.
Negative Verhaltensweisen für jede hinderliche Emotion identifizieren:
- Welche Verhaltensweisen lösen diese Emotion aus?
- Wann (und warum) verhalten wir uns so im Arbeitsalltag?
- Beispiel Frustration: Entsteht durch ständige Unterbrechungen, unklare Aufträge, oder fehlende Rückmeldungen.
Phase 4: Konsequenzen festlegen
Definiert die Spielregeln: Was passiert, wenn vereinbarte Verhaltensweisen nicht eingehalten werden? Die Konsequenzen sollten angemessen und konstruktiv sein.
Beispiele für Konsequenzen:
Fünf Minuten zu spät zu Meetings kommen → das nächste Meeting moderieren
Eine verbindliche Zusage nicht einhalten → beim nächsten Mal ein Protokoll übernehmen

Für ein besseres Miteinander
Um unsere emotionalen Fähigkeiten zu schulen, sollten wir uns im Perspektivwechsel üben. Wenn wir uns bewusst in die Lage anderer versetzen, entwickeln wir mehr Empathie und können die Handlungen und Bedürfnisse unserer Teammitglieder besser verstehen. In großen Organisationen verlieren wir leicht die Aufgaben und Probleme von anderen Teams, Kreisen oder Abteilungen aus dem Blick. Hier können Schnupperpraktikumstage für ein besseres Verständnis untereinander helfen.
Ein Perspektivwechsel wäre auch in Minas Vortragssituation hilfreich gewesen. Hätten sich die beiden Kolleg*innen in ihre Lage versetzt, hätten sie möglicherweise gemerkt, wie störend ihr Nebengespräch während der Präsentation wirkt. Umgekehrt hätte Mina durch den Perspektivwechsel verstehen können, dass sie eben vermutlich einfach nicht darüber nachgedacht haben, dass ihr Verhalten die anderen stören könnte. Damit emotionale Kompetenz eine kollektive Wirksamkeit entfalten kann, muss sie dauerhaft in der Organisationskultur verankert sein und gelebt werden. In Minas Fall könnte eine Teamnorm helfen: „Wir hören bei Präsentationen aktiv zu.” Und wenn doch jemand mal dazwischen redet? Dann schreibt die Person beim nächsten Meeting vielleicht das Protokoll.

Takeaways
-
Teams funktionieren nicht nur über individuelle Stärken, sondern entwickeln eigene emotionale Dynamiken.
-
Ein konstruktives und eigenverantwortliches Miteinander gelingt nur, wenn alle Teammitglieder mit ihren Emotionen und sozialen Spannungen umgehen können.
-
Emotionale Kompetenz lässt sich im Team trainieren, etwa durch Übungen, die den emotionalen Wortschatz ausbilden oder emotionale Belastungen während Projekten sichtbar machen.