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Eine Figur steht in einer Uhr, als wäre es ein Hamsterrad. Um sie herum stapeln sich Ordner, Papiere, ein Laptop und Briefe.
Arbeitszeitmodelle

Arbeit ist das halbe Leben? Besser nicht!

Meist bleibt nach der Arbeit zu wenig Zeit, um sich zu erholen, zu engagieren oder um andere zu kümmern. Wenn wir das ändern wollen, brauchen wir individuelle und flexible Arbeitszeitmodelle.

Traditionelle Lohnarbeit zu verkürzen und die Zeit stattdessen gleichmäßig auf sinnstiftende Tätigkeiten wie Gemeinschaftsarbeit zu verteilen – dafür plädierte bereits Frithjof Bergmann, Vordenker der New-Work-Bewegung. Es gibt so viele Dinge, die wir für unsere individuelle und die gesellschaftliche Regeneration tun könnten, wenn wir weniger erwerbsarbeiteten und mehr reproduktive Arbeit machen könnten: mehr Selbstfürsorge, Reparaturen, Pflege von Beziehungen oder politisches Engagement. „Zeit ist eine der wichtigsten politischen Ressourcen“, sagt die Journalistin Teresa Bücker in ihrem Buch Alle_Zeit.1 Sie fordert mehr Zeitgerechtigkeit und die Abschaffung der 40-Stunden-Woche.

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Früher war weniger Arbeit

„Acht Stunden Arbeit, acht Stunden Erholung, acht Stunden Schlaf“ lautete 1890 die zentrale Forderung der Arbeiterbewegung, nachdem die Arbeitszeit während der Industriellen Revolution zwischenzeitlich auf zermürbende 16 Stunden pro Tag gestiegen war. Nach dem Ersten Weltkrieg einigten sich Gewerkschaften und Arbeitgeber 1918 schließlich auf ein entsprechendes Abkommen, das von der sozialdemokratischen Übergangsregierung zum 1. Januar 1919 auch gesetzlich verankert wurde. Seitdem hat sich an der rechtlichen Situation in Deutschland im Prinzip nichts geändert: Auch heute gilt noch die 48-Stunden-Woche, acht Stunden Arbeitszeit an sechs Tagen in der Woche. Unter dem Leitspruch „Samstags gehört Vati mir“ setzten Gewerkschaften allerdings in den 1950er-Jahren in der BRD für die meisten Branchen die Fünftagewoche durch. Seitdem ist die 40-Stunden-Woche der Standard, obwohl die gesetzliche Höchstarbeitszeit weiterhin bei 48 Stunden liegt. Eine Verringerung von 85 Wochenarbeitsstunden im Jahr 1860 auf 40 Stunden ein knappes Jahrhundert später – wir könnten meinen, wir lebten im absoluten Freizeitparadies.

Dabei arbeiteten Menschen im vorindustriellen Zeitalter teilweise viel weniger. Anthropolog*innen vermuten, dass Menschen in der Steinzeit nur etwa drei bis sechs Stunden pro Tag mit der Beschaffung von Nahrung verbrachten und den Rest der Zeit für soziale Aktivitäten und zur Entspannung nutzten. Als Menschen etwa im 12. Jahrtausend vor Christus sesshaft wurden und begannen, Landwirtschaft zu betreiben, wurden die Arbeitstage zwar mit acht bis zwölf Stunden intensiver, doch wurde die Arbeit häufig für ausgiebige Pausen unterbrochen. Auch im Mittelalter wurde in 30- bis 60-Minutenintervallen mit vielen langen Pausen gearbeitet, in denen Arbeiter*innen aßen oder sogar schliefen. Von Januar bis Dezember arbeiteten die Menschen kaum, da Landwirtschaft in dieser Zeit nur in geringem Umfang möglich ist. Hinzu kamen viele Feiertage, sodass die Menschen insgesamt relativ viel Freizeit hatten und keinesfalls – wie wir es uns oft vorstellen – von morgens bis abends schufteten.

Eine Hand, die eine Taschenuhr hält. Das Ziffernblatt ist in vier Teile aufgeteilt.

Darum sollten wir weniger arbeiten

Heute würde mehr als die Hälfte der Vollzeitbeschäftigten ihre Arbeitszeit gern reduzieren – auf durchschnittlich 34,3 Stunden in der Woche.2 In der Realität machen dagegen viele Überstunden, weil sie ihr Arbeitspensum andernfalls nicht schaffen. Laut dem Jahresbericht des Deutschen Gewerkschaftsbundes (2019) fühlen sich 53 Prozent der Arbeitnehmer*innen häufig während der Arbeit gehetzt, 29 Prozent verkürzen Pausen oder machen gar keine.

In einer regenerativen Gesellschaft hingegen könnten Menschen sich ausreichend erholen und sich um ihre Umwelt und Mitmenschen kümmern. Hätten wir mehr Zeit neben der Arbeit, könnten wir mehr Energie in Aktivitäten zur sozialen Regeneration unserer Gesellschaft stecken, uns in der Nachbarschaftshilfe engagieren oder ehrenamtlich alten Menschen helfen. Drei Viertel der Menschen, die sich noch nie ehrenamtlich engagiert haben, machen Zeitmangel dafür verantwortlich. Die Soziologin Juliet Schor zitiert in ihrem Buch Wahrer Wohlstand Studien, die belegen, dass eine Verminderung der Arbeitszeit gleichzeitig zu einer Verringerung von Emissionen und Umweltschäden führt.3 Sie führt dies unter anderem darauf zurück, dass weniger Arbeit weniger Wachstum und daher weniger Konsum produziere.

Zeitkonflikte gibt es auch in Familien: Eine 40-Stunden-Woche lässt sich nicht damit vereinbaren, Kinder zu betreuen und einen Haushalt zu schmeißen. Selbstfürsorge ist ein Luxus, den sich vor allem Mütter in heterosexuellen Beziehungen selten leisten können, da sie nach wie vor die meiste Care-Arbeit leisten. Manche haben die Mittel, Babysitter und Haushaltshilfen zu beschäftigen, um selbst zu arbeiten, Sport zu treiben und Freundschaften zu pflegen. Aber wer kümmert sich um die Familien unterbezahlter und oft migrantischer Sorgekräfte, während diese auf die Kinder der Mittel- und Oberschicht aufpassen?4 Wann finden sie Zeit für Selbstfürsorge?

Weil in einer regenerativen Gesellschaft Bereiche wie Selbstversorgung und Gemeinwohl wichtiger werden und wir für diese Dinge Zeit benötigen, braucht es systemische Veränderungen. Die Soziologin Frigga Haug schlägt die 4-in-1-Perspektive als Modell vor, nach welchem jedem Menschen pro Tag je vier Stunden für Erwerbsarbeit, Reproduktionsarbeit, Kultur und gesellschaftspolitisches Engagement zur Verfügung stehen sollten.

Doch auch die Reduzierung der Arbeitszeit um 25 Prozent hat bereits regenerative Effekte, wie eine Studie zeigt: Menschen fühlen sich ausgeruhter und schlafen besser – das beugt Stress, Burn-out, Bore-out und Depressionen vor. 2017 ergab ein Experiment, dass Krankenschwestern, die 35 statt 40 Stunden pro Woche arbeiteten, weniger Krankheitstage in Anspruch nahmen. Es gibt auch Belege dafür, dass Menschen bei einer geringeren Wochenarbeitszeit produktiver sind. Eine Studie in Island untersuchte 2015 bis 2019 mehr als 2.500 Mitarbeiter*innen im öffentlichen Dienst, die von einer 40-Stunden-Woche auf eine 35- oder 36-Stunden-Woche bei gleichem Gehalt wechselten. Ihre Produktivität erhöhte sich durchschnittlich sogar: Beispielsweise wurden in der Buchhaltung 6,5 Prozent mehr Rechnungen bearbeitet. Nebenbei fördern kürzere Arbeitszeiten auch die allgemeine Wertschätzung des Arbeitsplatzes, was sich positiv auf die Personalbindung auswirken kann. Es gibt also viele Gründe für Organisationen, die Arbeitszeit ihrer Angestellten zu reduzieren.

Eine Person liegt im Krankenbett, eine andere Person sitzt neben ihr.

Streitfrage Viertagewoche

Vielerorts wird derzeit die Viertagewoche diskutiert und ausprobiert. 77 Prozent der Erwerbstätigen würden sie begrüßen, 63 Prozent allerdings nur bei vollem Lohnausgleich. Es stehen mehrere Varianten zur Diskussion:

  • Variante 1: Die Arbeitszeit wird auf vier Tage à acht Stunden reduziert, das Gehalt bleibt gleich – real erhält der*die Arbeiter*in also eine Lohnerhöhung. Modellversuche in Island und Großbritannien haben einen positiven Effekt auf Produktivität und Gesundheit festgestellt. Auch Deutschland startete im Februar 2024 eine wissenschaftlich begleitete Pilotstudie mit fast 50 Unternehmen, die auf sechs Monate angelegt ist.5 Bedingung der an den Pilotprojekten teilnehmenden Betriebe: Es muss eine Produktivitätssteigerung an den anderen Tagen geben.
  • Variante 2: Auch hier wird die Arbeitszeit auf 32 Stunden reduziert, allerdings ohne Lohnausgleich, sodass sich das Gehalt ebenfalls reduziert. Das können sich immerhin noch 14 Prozent der befragten Erwerbstätigen vorstellen.
  • Variante 3: Bei der komprimierten Arbeitswoche oder „Kompaktwoche“ werden 40 Arbeitsstunden auf nur vier Tage verteilt, sodass die tägliche Arbeitszeit zehn Stunden beträgt, wie es etwa in Belgien seit Ende 2022 möglich ist. Obwohl das Modell keine Verringerung der Arbeitszeit vorsieht, kann es in manchen Situationen entlasten.6

Übrigens ist das Argument, Viertagewochen seien nur in Bürojobs möglich und in manchen Branchen wie dem Gesundheitswesen, der Mobilitätsbranche oder Handwerksbetrieben undenkbar, nur halb haltbar. Eine Malermeisterin aus Schleswig-Holstein hat in ihrem Betrieb bereits 2022 eine Viertagewoche eingeführt und seitdem mehr Bewerber*innen, als sie einstellen kann, ebenso eine Pflegeeinrichtung des Deutschen Roten Kreuzes in Sangerhausen, die erste mit einem Experiment zur Viertagewoche in der Pflege. In diesen Fällen hat das auch deswegen gut funktioniert, weil die Betriebe einen Vorteil gegenüber der Konkurrenz haben – aber auch durch eine sinnvollere Strukturierung der Arbeit und effizientere Prozesse kann Arbeitszeit eingespart werden. Viele Firmen können unnötige Meetings reduzieren, klare Prioritäten setzen und auf eine flexible Aufgabenverteilung achten. Außerdem kann Technologie helfen, ohne große Katastrophen menschliche Arbeitszeit zu reduzieren. So kann etwa künstliche Intelligenz repetitive Aufgaben wie Datenverarbeitung oder die Beantwortung von Kundenanfragen übernehmen.

Allerdings wird für Branchen, die insgesamt unter Fachkräftemangel leiden, und Betriebe, die keinen finanziellen Spielraum oder Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung haben, eine flächendeckende Reduzierung der Arbeitszeit unweigerlich zu Problemen führen. Sollten sie zu einer Viertagewoche gezwungen werden und müssen dafür die Gehälter senken, wäre das für manche Angestellten prekär. Neben dem Einkommen reduzieren sich dann auch ihre Rentenpunkte, was zu einer massiven Zunahme von Altersarmut führen könnte. Daher schlägt Bücker vor, die Viertagewoche an die Einführung sozialer Sicherungskonzepte, wie z.B. einen von der Anzahl der gearbeiteten Stunden unabhängigen Mindestlohn pro Monat oder ein bedingungsloses Grundeinkommen, zu binden.7

Das Problem der fehlenden Arbeitskräfte ließe sich dadurch allerdings nicht lösen. Wir müssen Arbeitskräfte an anderen Stellen freisetzen oder durch Migration neue Arbeitskräfte gewinnen, andernfalls ist eine Verringerung der Arbeitszeit bei bestehendem Fachkräftemangel unrealistisch.8 Überflüssige Jobs könnten wir abschaffen und so Arbeiter*innen für sinnvolle Tätigkeiten gewinnen. Außerdem leben in Deutschland 800.000 Menschen allein von passivem Einkommen. Würden diese Menschen arbeiten, könnten die anderen Arbeitszeit reduzieren.

Der Fachkräftemangel macht die Viertagewoche unwahrscheinlicher.

Arbeitsmodelle mit Zukunft

Solange die politischen Rahmenbedingungen fehlen, ist eine pauschale Verkürzung der Arbeitszeit auf vier Tage also keine allgemeingültige Zauberformel. Alternativ können Organisationen individuelle Arbeitszeitmodelle anbieten, die die Arbeitszeit nicht reduzieren, sondern flexibler machen. Ein Ansatz ist etwa, von einer täglichen auf eine wöchentliche oder monatliche Höchstarbeitszeit umzustellen, die je nach Bedarf einteilbar ist. Ein anderer, die Arbeitszeit an bestimmte Lebensphasen anzupassen. Das Optionszeiten-Modell der Sozialwissenschaftlerin Karin Jurczyk und des Rechts- und Politikwissenschaftlers Ulrich Mückenberger der Deutschen Gesellschaft für Zeitpolitik sieht ein Zeitbudget von neun Jahren vor, das selbstbestimmt für Kinderbetreuung, Pflege, Ehrenamt, Weiterbildung oder Selbstsorge über den Lebenslauf verteilt werden kann. Anstelle des typischen dreigeteilten Lebenslaufes werden hier „atmende Lebensläufe“ angestrebt, in denen Zeit für Sorge und Lernen als feste Norm angenommen werden.9

Mit Zeitbudgets deine Woche strukturieren

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Flexible Arbeitszeiten können nachhaltig sein, wenn sie nicht nur zugunsten von Arbeitgeber*innen funktionieren. Lange Zeit war „flexible Arbeitszeit“ ein Synonym für Überstunden und uneingeschränkte Erreichbarkeit nach Feierabend oder an Wochenenden. Doch eigentlich gibt es hierfür einen Gesetzesrahmen: Arbeitgeber*innen müssen dafür sorgen, dass ihre Angestellten kein zu hohes Pensum haben und dadurch Überstunden machen.

Besonders Menschen, die viel Sorgearbeit leisten – junge Eltern z.B. – entlastet die Möglichkeit, spontan mehr oder weniger arbeiten zu können. Damit Geringverdiener*innen dabei nicht in die Armut rutschen, muss es lebensphasenspezifische Sicherungsmodelle geben, wie z.B. das von Bücker vorgeschlagene Familiengehalt für Kindererziehung oder Pflege von alten und kranken Menschen.

Neben der Viertagewoche und klassischer Teilzeit gibt es folgende Arbeitszeitmodelle, die zu mehr Regeneration führen können.

Arbeitszeitmodell 1: Vertrauensarbeitszeit

Vertrauensarbeitszeit ist ein Arbeitszeitmodell, bei dem Mitarbeiter*innen ihre Arbeitszeit eigenverantwortlich gestalten können, ohne an feste Kernzeiten – wie bei der Gleitzeit – gebunden zu sein. Die Arbeitszeit wird nicht kontrolliert, und der Fokus liegt auf den Ergebnissen. So kann jemand etwa unter der Woche auch mal um 15 Uhr Feierabend machen und an den See fahren oder die Erdbeerbeete gießen und die Arbeitsstunden am Wochenende bei Regenwetter nachholen. Das Modell funktioniert besonders gut in selbstorganisierten Teams, bei denen Selbstführung ohnehin stark ausgeprägt ist. Die Herausforderung ist nämlich, Arbeit und Freizeit selbst voneinander abzugrenzen. Für dieses Modell ist es wichtig, dass Entscheidungen auch mal Zeit haben und ständige Erreichbarkeit im Unternehmenskontext nicht so wichtig ist. Passend zur Vertrauensarbeit gibt es z.B. bei der Tomorrow GmbH Vertrauensurlaub, also die Regelung, dass alle so viel Urlaub nehmen können, wie sie möchten. Auch das funktioniert natürlich nur, wenn Unternehmen darauf achten, dass das Arbeitspensum Urlaub auch zulässt und dass sich keine Hustlekultur etabliert, in der Arbeitnehmer*innen den Urlaub streichen.

Neben der Flexibilisierung der Arbeitszeit kann auch eine flexiblere Gestaltung der Arbeitsumgebung entlasten. Die Möglichkeit, remote zu arbeiten, kann zu einer besseren Work-Life-Balance sowie Vereinbarkeit von Arbeit und Familie, also sozialer Regeneration, führen – allerdings nur, wenn Mitarbeitende ausreichend Platz und einen gut ausgestatteten Arbeitsplatz zur Verfügung haben.

Eine Gießkanne

Arbeitszeitmodell 2: Jobsharing

Beim Jobsharing teilen sich zwei oder mehrere Personen eine Vollzeitstelle, beispielsweise halbtags oder in wöchentlich wechselnden Intervallen. Das ermöglicht eine bessere Aufteilung der Arbeit je nach Lebensphase. Der Vorteil dieser speziellen Form von Teilzeit: Trotz reduzierter Arbeitszeit können Menschen, die etwa wegen Pflegeverantwortung oder kurz vor der Rente weniger arbeiten möchten, komplexe oder verantwortungsvolle Stellen übernehmen, die eigentlich das Volumen einer Vollzeitstelle haben. Für Führungsaufgaben heißt das Modell dann Co-Leadership. Beim Jobsharing sind Kommunikation und Absprachen extrem wichtig, das Wissen muss gut dokumentiert und organisiert werden.

Arbeitsmodell 3: Jahresarbeitszeit / Lebensarbeitszeit

Bei der Jahresarbeitszeit können Mitarbeiter*innen ihre Arbeitszeit über das Jahr hinweg flexibel gestalten, um saisonale Arbeitsspitzen und persönliche Bedürfnisse besser zu bewältigen, z.B. können sie bei guter Auftragslage mehr arbeiten und dann in schwächeren Zeiten zurücktreten. Das ist nur in Berufen, die saisonalen Schwankungen unterworfen sind, möglich. Wichtig ist bei diesem Modell, dass die Initiative entweder von Mitarbeitenden ausgeht und nicht einfach top-down ihre Arbeitszeit und damit ihr Gehalt reduziert wird oder dass es eine finanzielle Absicherung für weniger arbeitsreiche Zeiten gibt.

Bei der Lebensarbeitszeit „sparen“ Mitarbeiter*innen über einen längeren Zeitraum Arbeitszeit, die dann zu einem späteren Zeitpunkt entlohnt wird. Eine Variante der Lebensarbeitszeit ist die Altersteilzeit, die einen schrittweisen Übergang in den Ruhestand ab 55 Jahren erlaubt. Einige Jahre wird voll gearbeitet, vom Arbeitgeber aber nur ein Teilzeitgehalt ausgezahlt. Im Vorruhestand bekommt der*die Arbeitnehmer*in dann weiterhin das Teilzeitgehalt gezahlt, arbeitet aber nicht mehr. Der Nachteil: Das Gehalt verringert sich, und damit auch der Rentenanspruch. Manche größere Unternehmen bieten ihren Mitarbeiter*innen daher einen Zuschuss an.

Ein anderes Beispiel für Lebensarbeitszeit ist ein Sabbatical, für das ein Arbeitszeitguthaben angehäuft wurde. Auch hier arbeiten Mitarbeiter*innen für einen selbst gewählten Zeitraum mehr Stunden, als ihnen ausgezahlt werden. Während des Sabbaticals erhalten sie dann weiterhin ihr Gehalt – müssen aber nicht arbeiten. Diese Auszeit von der Arbeit fördert die nachhaltige Regeneration von intensiven Arbeitsphasen und gibt die Möglichkeit, sich längere Zeit weiterzubilden, zu reisen oder fürs Gemeinwohl zu engagieren.10

Montag bis Freitag gehören meine Arbeitszeiten mir

Die rigide Fünftagewoche war lange genug Standard. Es ist Zeit für den nächsten Schritt. Wir brauchen wieder ein ähnliches Momentum wie bei ihrer Einführung in den 1950er-Jahren. Um Arbeit nachhaltig für den Menschen zu machen und eine regenerative Gesellschaft zu ermöglichen, braucht es in Zukunft eine Verkürzung der Arbeitszeit – aber das allein reicht nicht aus: Auch flexible Arbeitszeitmodelle, die sich Lebensphasen sowie gesundheitlichen oder biologischen Schwankungen anpassen können, sind vonnöten. Die große Aufgabe von Arbeitgeber*innen ist, ein Modell zu finden, das für sie und ihre Mitarbeiter*innen funktioniert – die Rolle des Staates, einen rechtlichen Rahmen zu schaffen und, wo nötig, finanzielle Absicherung zu gewährleisten.

Take-aways

  • Die aktuelle rigide Organisation der Arbeitszeit verhindert individuelle und gesellschaftliche Regeneration, weshalb flexible und nachhaltige Arbeitszeitmodelle erforderlich sind.
  • Historisch gesehen haben Menschen oft weniger gearbeitet als heute, und Arbeitszeit zu reduzieren könnte zu besserer Erholung, mehr sozialem Engagement und geringeren Umweltschäden führen.
  • Verschiedene Arbeitszeitmodelle wie die Viertagewoche, Vertrauensarbeitszeit und Jobsharing bieten Möglichkeiten, die Arbeitszeit zu verkürzen und flexibler zu gestalten, was sowohl die Produktivität als auch das Wohlbefinden der Arbeitnehmer*innen erhöhen kann.

FUßNOTEN

  • 1

    Teresa Bücker: Alle_Zeit. Eine Frage von Macht und Freiheit (2022), S. 322

  • 2

    Arbeitszeitreport Deutschland: Ergebnisse der BAuA-Arbeitszeitbefragung 2021

  • 3

    Juliet B. Schor: Wahrer Wohlstand. Mit weniger Arbeit besser leben (2016), S 135f. Ihre These führt sie unter anderem darauf zurück, dass Menschen, die weniger arbeiten, auch weniger verdienen und konsumieren oder verreisen.

  • 4

    Kinder und ältere Angehörige der Migrant*innen müssen oft in den Heimatländern von anderen Familienmitgliedern wie Großmüttern oder älteren Schwestern betreut werden. Die Soziologin Arlie Hochschild hat für das Problem, dass Pflege- und Betreuungsdienste durch Migrant*innen aus ärmeren Ländern in reicheren Ländern erbracht werden, wodurch wirtschaftliche Ungleichheiten sichtbar werden, den Begriff Global Care Chains geprägt.

  • 5

    Das Experiment hat im Februar 2024 begonnen und ist bei Redaktionsschluss noch nicht beendet.

  • 6

    Das zeigt sich z.B. im OP-Betrieb des Klinikums Fürth, bei dem die Zehnstundentage eine bessere Koordination von OP-Terminen ermöglicht haben. Bundesagentur für Arbeit: 4-Tage-Woche: Mehr Flexibilität wagen (2024)

  • 7

    Bücker, S. 312

  • 8

    In den zehn am meisten vom Fachkräftemangel betroffenen Branchen fehlen insgesamt etwa 155.000 Arbeitskräfte. Wiwo.de: Wenn Unternehmen das Personal ausgeht – Ein Überblick zum Fachkräftemangel (2023)

  • 9
  • 10

    Der Begriff Sabbatical bzw. auf Deutsch Sabbatjahr stammt ursprünglich aus der Tora und bezieht sich auf das siebte Jahr, das zur Erholung und Sammlung neuer Kräfte dienen soll.

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