Viele Menschen messen ihre Leistung daran, wie viel sie in einer bestimmten Zeit schaffen. Das führt oft zu Stress und Frustration. Deshalb kann es sinnvoll sein, sich stärker an der eigenen Energie zu orientieren.
Bei der Arbeit haben viele Menschen ständig im Blick, wie viel Zeit ihnen noch bleibt, ihre Aufgaben zu erledigen. Sie legen fest, wann sie sich welchen Projekten widmen – und wie lange. Stets geht es darum, die begrenzte Zeit möglichst effektiv zu nutzen und alles aus den Arbeitsstunden herauszuholen.
Aber, wie Oliver Burkeman in seinem Buch Four Thousand Weeks schreibt: „Das Problem bei dem Versuch, die Zeit zu beherrschen, besteht darin, dass man am Ende von der Zeit beherrscht wird.“ Wer sich am Montag überlegt, welche Aufgabe er*sie am Freitag angehen will, merkt schnell, dass in der Praxis meist etwas Unvorhergesehenes dazwischenkommt: ein anderes Projekt, ein Mittagstief, das Meeting endet später oder ein krankes Kind, das früher aus der Kita abgeholt werden muss.
So toll Zeitmanagement sich anhört: In der Umsetzung führt es vor allem zu Druck und dem Gefühl, den eigenen Ansprüchen nicht gerecht zu werden – weshalb man meist umso mehr Zeit investiert. Ein Wettrennen, das wir nicht gewinnen können, denn am Ende ist nicht nur unsere Zeit begrenzt, sondern auch unsere Energie. Wie also können wir mit beidem besser haushalten?
Nie wieder schlechte Meetings!
Abo + Geschenk holenCheck: Energie-Management
Nimm dir einen Moment Zeit und reflektiere, wie es aktuell um dein Energie-Management steht.
- Schlafe ich zwischen sieben und acht Stunden?
- Arbeite ich regelmäßig abseits meiner regulären Arbeitszeit (z.B. am Wochenende)?
- Habe ich Probleme, abzuschalten, wenn ich Dinge in meiner Freizeit tue?
- Fällt es mir schwer, mich auf eine einzige Aufgabe zu fokussieren?
- Fühle ich mich bei der Arbeit häufig gereizt, überfordert oder ungeduldig?
- Verbringe ich einen Großteil des Tages damit, auf unmittelbare Krisen oder Anforderungen zu reagieren?
Energie ist endlich
Die Autorin Christine Miserandino hat eine Autoimmunkrankheit und die sogenannte Löffel-Theorie entwickelt. Sie soll erklären, wie Menschen mit Behinderung und chronischen Krankheiten leben, die ihre Energie jeden Tag einteilen müssen. Auch wenn die Theorie ursprünglich in einem anderen Kontext erfunden wurde und dort im besonderen Maße gilt, können wir von dem Grundsatz lernen: Energie ist eine begrenzte Ressource, mit der wir gut haushalten müssen.
Die Löffel sind ein Maß dafür, wie viele Ressourcen wir haben. Jede Tätigkeit (z.B. Arbeiten, den Haushalt führen, Fahrtwege) kostet einen oder mehrere Löffel. Die Löffel-Theorie schärft das Bewusstsein dafür, dass Energie endlich ist. Gleichzeitig macht sie transparent, wie viel unserer Energie wir für welche Tätigkeiten einsetzen. Um das Gedankenexperiment auszuprobieren, kannst du dir am Ende eines Tages diese Fragen stellen:
- Mit wie vielen Löffeln bin ich heute gestartet?
- Was waren meine Tätigkeiten und wie viele Löffel haben sie gekostet?
- Welche Löffel hätte ich gerne behalten? Welche habe ich gerne abgegeben?
- Was bedeutet der heutige Tag für meine Energie(-reserven) morgen?
Geben und Nehmen
Die Ressource Energie ist endlich, dennoch haben wir erheblichen Einfluss darauf, wie sie sich über den Tag entwickelt. Neben den Grundlagen wie ausreichend Schlaf, regelmäßiger Bewegung und einer ausgewogenen Ernährung gibt es ganz individuelle Energienehmer und -geber. Es ist hilfreich, für sich herauszufinden, welche das sind und den Arbeitstag darauf abzustimmen.
Notiere dafür eine Woche lang in einem Energie-Tagebuch, welche Tätigkeiten du ausführst und wie dein Energieaufwand für sie war. Beobachte, wie sich deine Energie über den Tag verändert und reflektiere, welche Aufgaben für dich energieraubend und welche energiegebend sind.
Für dein Energie-Management könntest du aus den Erkenntnissen die Konsequenz ziehen, dir bestimmte Aufgaben aktiv (nicht) in bestimmte Tageszeiten zu legen.
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PDF herunterladenDrei Beispiele
Beispiel 1:
- „Ich finde es anstrengend, E-Mails zu beantworten. Danach bin ich unkonzentriert und würde am liebsten direkt in den Feierabend gehen.“
Konsequenzen für mein Energie-Management:
- Trennen zwischen Phasen der Konzentration und kleinteiligen Aufgaben wie E-Mails beantworten
- E-Mails entweder vor der Mittagspause beantworten und/oder am Ende des Arbeitstages
Beispiel 2:
- „Meetings, die ich nicht moderiere, machen mich oft müde und träge.“
Konsequenzen für mein Energie-Management:
- Häufiger die Moderationsrolle übernehmen
- Moderations-Meetings auf Tageszeiten legen, in denen ich einen Energieschub brauche (z.B. direkt nach der Mittagspause) und/oder andere Dinge erledigen muss, die mir weniger Freude bereiten
Beispiel 3:
- „Ich arbeite tagsüber konzentriert und schaffe viel, habe abends aber keine Energie mehr für meine Familie.“
Konsequenzen für mein Energie-Management:
- Eine oder mehrere Rollen (zeitweise) abgeben
- Mehr und längere Pausen machen/Puffer einplanen
- Entlastende Abendroutine mit Kindern entwickeln
Weil wir alle aus so unterschiedlichen Dingen Energie ziehen, ergibt es keinen Sinn, allen ein Modell überzustülpen. Stattdessen sollte jede*r Raum bekommen, das eigene Modell zu finden und Aufgaben selbstbestimmt an die eigene Energie anzupassen. Selbstorganisiertes und flexibles Arbeiten liefert die Grundlage dafür.
Wir können unsere Produktivität nicht ins Unendliche steigern.
Wir können viel dafür tun, sinnvoll mit unserer Energie hauszuhalten. Es ist aber auch wichtig, realistische Erwartungen zu haben: Ein klassischer Arbeitstag hat zwar acht Stunden – das heißt aber nicht, dass wir acht Mal 60 Minuten effektiv arbeiten können, auch wenn uns produktivitätssteigernde Zeitmanagement-Tools oft genau das versprechen. Langsame und ergebnislose Abschnitte gehören zu jedem Arbeitstag dazu. Der Schriftsteller Thomas Mann schrieb am Tag beispielsweise nur drei Stunden. Den Rest des Tages verbrachte er mit Spazierengehen und Zeitung lesen.
Klassisches Zeitmanagement führt dazu, dass wir uns maximal auslasten. Im Arbeitsalltag passieren aber immer unvorhersehbare Dinge, weshalb es sinnvoll ist, mit Puffern zu planen. Auch bei Energie-Management geht es nicht darum, jede letzte Energiereserve zu nutzen, sondern eine Balance zu finden, mit der es uns – vor allem langfristig – gut geht.
Teil dieser Balance kann sein, Priorisierungsentscheidungen zu treffen, also die drei wichtigsten Dinge festzulegen, die ich heute bei begrenzter Energie unbedingt schaffen will. Es schafft Entlastung und Entspannung, wenn diese wichtigsten Aufgaben erledigt sind. Und es ist dann nur halb so schlimm, wenn weniger wichtige Aufgaben noch unerledigt bleiben.
Der Energiehaushalt hängt letztlich auch untrennbar mit Achtsamkeit zusammen – also damit, wie man sich selbst erlaubt zu arbeiten und Energie priorisiert:
- Wie viel meiner Energie möchte ich regelmäßig in meinen Beruf stecken?
- Ist das Verhältnis zu anderen Dingen in meinem Leben im Gleichgewicht?
- Möchte ich am Ende des Tages noch ausreichend Energie übrighaben, um Sport zu treiben oder ein Essen mit Freund*innen zu genießen?
Wenn ich diesen Monat über meine Energiereserven hinausgehe, sollte ich nächsten Monat proaktiv für Ausgleich sorgen. Das ist schwierig umzusetzen, wenn sich alle um einen herum ständig daran messen, was in einer idealen Woche oder an einem perfekten Tag alles möglich wäre. Aber der Punkt ist: Es macht letztlich viel zufriedener, die Zeit wertzuschätzen, statt sie so lange zu managen, bis nur noch Stress übrigbleibt. Und je achtsamer ich mit meiner Energie haushalte – desto leistungsfähiger bin ich in der Zeit, in der ich (nicht) arbeite.