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Immer mehr Organisationen versuchen sich an co-kreativen Prozessen. Aber wie sieht gute Co-Kreation aus?
Co-Kreation

So gelingt Co-Kreation in Organisationen

Immer mehr Teams versuchen, Probleme co-kreativ anzugehen. Doch was bedeutet Co-Kreation eigentlich? Und wie gelingt es, co-kreative Prozesse leichtfüßig zu organisieren?

Als die Firma Henkel 2011 beschloss, ihrer Spülmittelflasche der Marke Pril ein neues Etikett zu verleihen, dachte man sich wohl: Da machen wir mal was Co-Kreatives.

Nutzer*innen konnten auf einer Online-Plattform neue Designs vorschlagen. Mehr als 50.000 Vorschläge wurden eingereicht. Innerhalb kürzester Zeit entstanden dabei auch ironische Motive wie das Pril-Hähnchen: Auf einem braunen Etikett ist ein Brathähnchen zu sehen. Darunter steht: „Schmeckt lecker nach Hähnchen!“ Die Community votete dieses und andere Motive ganz ohne Frühlingsduft und Schmetterlingsprints nach oben.

Bei Henkel hingegen war man nicht begeistert und verschärfte die Spielregeln: Künftig mussten die Motive vom Pril-Team freigegeben werden, bevor sie beurteilt werden konnten. Gleichzeitig wurden die bereits abgegebenen Stimmen ‚bereinigt‘ – angeblich weil sie manipuliert waren. Plötzlich sah die Rangliste, bei der das Hähnchendesign geführt hatte, vollkommen anders aus. Die Henkel-Accounts auf Facebook und Twitter wurden von Tausenden negativen Kommentaren geflutet. Henkel wiederum löschte einige der Kommentare. Das Ganze wurde zu einem einzigen PR-Desaster.1

Einen Prozess zu öffnen, ist nicht immer eine gute Idee. Nicht jede Aufgabe lässt sich co-kreativ lösen. Und wenn sich ein Team dazu entscheidet, braucht es klare Spielregeln und die Bereitschaft, auch Ergebnisse zuzulassen, die von den eigenen Vorstellungen abweichen.

Einen Prozess zu öffnen, ist nicht immer eine gute Idee.
Eine illustrierte Figur streckt den Arm aus und „Schmeckt lecker nach Hähnchen“

Aber was ist Co-Kreation überhaupt?

Die Vorsilbe co ist ein lateinisches Präfix und drückt „ein partnerschaftliches Verhältnis, ein Mit- oder Nebeneinander“ aus. Kreation stammt vom lateinischen Wort creatio ab und bedeutet künstlerische Schöpfung oder Erschaffen. Ganz offenbar geht es bei Co-Kreation darum, miteinander etwas zu erschaffen.

Der Begriff wird deswegen oft synonym verwendet zu Co-Design, Zusammenarbeit, Kollaboration, Kooperation, Partizipation, aber auch Open Innovation oder Crowdsourcing. Oft geht es bei Co-Kreation darum, Produktentwicklungsprozesse so zu öffnen, dass sich Nutzer*innen einbringen können.

Gleichzeitig denken wir bei Co-Kreation nicht nur an den simplen Einbezug von Kund*innenfeedback. Das Wort vermittelt zusätzlich ein Gefühl von Werkstatt und gemeinsamem Denken und Tüfteln. Hinter Co-Kreation verbirgt sich also auch die Idee, dass durch ergebnisoffene und kreative Zusammenarbeit bessere Lösungen entstehen, als Einzelne sie hätten erbringen können.2

Die Idee, Konsument*innen in den Wertschöpfungsprozess einzubeziehen, so wie Henkel es versucht hat, entsteht schon in den 1970er-Jahren. Erst Anfang der 2000er-Jahre machen die beiden Wirtschaftswissenschaftler C. K. Prahalad und Venkat Ramaswamy das Konzept jedoch populär: Sie argumentieren, dass Nutzer*innen nicht mehr mit dem Wert zufrieden sind, den sie durch den Kauf von Produkten oder Dienstleistungen erwerben, sondern dass sie stattdessen mit Organisationen interagieren wollen – der Wert von etwas ergibt sich aus ihren persönlichen Erfahrungen. Deswegen können Unternehmen nicht mehr einfach so voraussagen, was Nutzer*innen wollen, sondern müssen sie co-kreativ einbinden.3

Während das letzte Jahrhundert von einer Haltung des predict and control geprägt war, also davon, dass eine Person einen Plan macht, der von anderen in linearen Prozessabläufen und Arbeitsteilung ausgeführt wird, funktioniert diese Art, Menschen zu organisieren, heute nicht mehr: Durch die digitalisierte Globalisierung nehmen Vernetzung, Komplexität und Geschwindigkeit zu.

In diesem Umfeld adaptieren Unternehmen zunehmend ein neues Mindset namens sense and respond.4 Unternehmen werden besser darin, Veränderungen schnell wahrzunehmen und Impulse von Menschen in und außerhalb der Organisation zu nutzen, um sich weiterzuentwickeln. Dazu gehört auch, dass Menschen aus unterschiedlichen Disziplinen stärker zusammenarbeiten. Nutzer*innen verlassen immer öfter die passive Rolle als Konsument*innen, geben Impulse und gestalten mit.

Eine allgemein anerkannte Definition von Co-Kreation gibt es nicht. Was den verschiedenen Definitionen allerdings gemeinsam ist, ist ein starker Fokus auf den Aspekt der Kooperation und kollektiven Entscheidungsfindung. Damit grenzt sich ein co-kreativer Ansatz von der bis dato vorherrschenden, stark vom Konkurrenzgedanken getriebenen und hierarchisch organisierten Arbeitskultur ab.

Nutzer*innen verlassen immer öfter die passive Rolle als Konsument*innen, geben Impulse und gestalten mit.

Kooperation ist menschlich

Unterstützung bekommt der Ansatz von der realen Geschichte menschlicher Kooperation. Wissenschaftliche Studien und historische Beispiele belegen, dass Menschen grundsätzlich auf Kooperation aus sind. Vor allem Nähe und Zusammenhalt haben die Menschheit dahin gebracht, wo sie heute ist. Das zeigen auch Erkenntnisse der Neurowissenschaft und Verhaltensforschung: Kinder können ohne emotionale Zuwendung nicht überleben, soziale Nähe vermindert das Schmerzempfinden und aggressiv treten normalerweise Menschen auf, die sich von der Gemeinschaft ausgestoßen fühlen.5

Historisch lebten unsere nomadischen Vorfahren in von Kooperation geprägten Gemeinschaften. Schon Kinder scheinen die Veranlagung und Fähigkeit zur Kooperation zu haben: Als 1965 sechs tongalesische Jungen auf einer einsamen Insel strandeten, hätte eigentlich Gewalt und Anarchie ausbrechen müssen – so zumindest sagte es das Buch Herr der Fliegen von William Golding voraus.

Nichts dergleichen geschah: In der Realität teilten sich die Jungen Aufgaben, führten Streitschlichtung ein und lebten 18 Monate lang friedlich zusammen, ehe sie von einem australischen Kapitän entdeckt wurden.6 Es scheint die Regel zu sein, dass sich Menschen für Kooperation und Zusammenarbeit entscheiden, und nur in Ausnahmefällen für Konkurrenz und Kampf.

Eine Figur reicht der anderen einen Bauklotz

Wir können Konkurrenzdenken (wieder) verlernen
In den vergangenen Jahren waren Konkurrenz und Gegeneinander trotzdem ein wichtiger Motor für unsere Gesellschaft und Wirtschaftsweise, weil unsere Überzeugungen ganz konkrete Auswirkungen haben: Wer daran glaubt, dass andere Menschen nur auf ihren eigenen Vorteil aus sind, handelt selbst nach dieser Prämisse. Handeln alle selbstsüchtig, entsteht auch eine egoistische Gesellschaft. Konkurrenzdenken gilt dann als normal und Kooperation als Abweichung.

Das Gute ist: Dieses Konkurrenzdenken wurde erlernt und was einmal gelernt wurde, kann auch wieder verlernt werden. Wir müssen dabei Glaubenssätze und Denkmuster überschreiben. Und uns zunächst mal ihrer Existenz bewusst werden. Individuell könnte es sich um verinnerlichte Denkmuster handeln wie „Ich bin groß, wenn andere klein sind“, oder „Nur meine individuelle Leistung zählt“. Gesamtgesellschaftlich gehört vor allem die Vorstellung des homo oeconomicus, der nur auf seinen eigenen Vorteil aus ist, dazu. Oder die Erzählung, dass Menschen nur etwas leisten, wenn sie dabei gewinnen und ihre eigene Position gegen andere behaupten können.

Das hat konkrete Auswirkungen auf die Kultur in Organisationen: Dort werden dann Mitarbeiter*innen kontrolliert und gegeneinander ausgespielt, und Abteilungen haben Angst davor, dass Ergebnisse von Kolleg*innen von anderen Unternehmensteilen geklaut werden. Wenn das die Prämissen sind, unter denen Organisationen arbeiten, ist co-kreatives Arbeiten natürlich schwer vor- und herstellbar.

Wie kann Co-Kreation in Organisationen gelingen?

Im Mittelpunkt von Co-Kreation stehen immer die Menschen, die am Prozess beteiligt sind. Alle wichtigen Stakeholder*innen sollten zunächst identifiziert werden: Dazu gehören Kund*innen, Auftraggeber*innen, Partner*innen und sämtliche Mitarbeiter*innen. Neben dieser Öffnung des Prozesses für wirklich alle Beteiligten zeichnet sich Co-Kreation durch ein verändertes Miteinander und dadurch auch durch ein neues Verständnis von Leistung aus:

Augenhöhe herstellen

Menschen merken schnell, ob Unternehmen tatsächlich an ihren Gedanken interessiert sind oder vor allem eine smarte Marketingstrategie wittern. Das Ziel von Co-Kreation sollte sein, dass alle Beteiligten auf Augenhöhe und jenseits von Machtstrukturen miteinander wirken. Das bedeutet beispielsweise, dass Nutzer*innen, die in die Produktentwicklung einbezogen werden, behandelt werden wie Angestellte und dass es im Prozess niemanden interessiert, wer auf welcher Hierarchiestufe im Unternehmen steht.

Verschiedene Perspektiven anerkennen

Co-Kreation basiert auf der Freude am Austausch, auf gegenseitiger Unterstützung, auf Gemeinschaftlichkeit, auf Vernetzung und Verbindung sowie einer Kommunikation der Offenheit und Wertschätzung. Dafür muss man das Wissen der anderen anerkennen sowie die Tatsache, dass es immer mehr Perspektiven gibt, als man sie selbst einnehmen kann. Wenn es beispielsweise darum geht, eine Schule co-kreativ umzugestalten, müssen mindestens die Perspektiven der Lehrer*innen, Administrator*innen, Schüler*innen und Nachbar*innen einbezogen werden. Darüber hinaus aber auch noch Lieferant*innen und Eltern. Alle bringen ihre eigenen Vorstellungen und Ängste mit. Genauso wurde es bei dem slowakischen Projekt ŠAK gemacht, bei dem die Räume zweier Grundschulen im Ort Košice für die Nutzung der umliegenden Nachbarschaft geöffnet werden sollten.7

Klare Prozesse für alle Beteiligten

Erfolgreiche Co-Kreation braucht eine offene Haltung und Neugier, aber sie braucht auch Prozesse, die von allen verstanden und genutzt werden. Ein positives Beispiel ist hier die Österreichische Bundesbahn: Sie veranstaltet regelmäßig Online-Challenges, in die alle Interessierten ihre Ideen zur Verbesserung des Angebots der ÖBB einbringen können. Die Vorschläge werden von einem Gremium bewertet und die Ideen, die bezogen auf Kund*innennutzen, Umsetzbarkeit und Innovationsgrad am besten abschneiden, werden dann in Wien in einem Open Innovation Lab entwickelt und getestet – in gemischten Gruppen von Mitarbeiter*innen, Studierenden, Nutzer*innen und Start-ups.

Veränderte Bewertungsmaßstäbe

Zum co-kreativen Arbeiten gehört ein neues Verständnis von Leistung. Nicht die Leistung des oder der Einzelnen ist wichtig. Das ergibt ja auch gar keinen Sinn, wenn man gemeinsame Ergebnisse schaffen will. Stattdessen wird das gemeinsam geschaffene Ergebnis bewertet. Dabei verändert sich auch, wer überhaupt in der Position des*der Bewertenden steckt: Bei der Modemarke Threadless designen Nutzer*innen ihre eigenen Produkte und entscheiden gemeinsam, welche Designs umgesetzt werden.8

Spielerische und iterative Herangehensweise

Die Abkehr von der persönlichen Leistungsbeurteilung hilft auch dabei, einen spielerischen Umgang mit Ideen zu entwickeln, ohne sofort Urteile zu fällen. Fehler sind erlaubt und erwünscht, denn Co-Kreation sollte, zumindest am Anfang, immer vollkommen ergebnisoffen sein. Das bedeutet auch, dass man sich darauf einlässt, dass gegebenenfalls gar nichts Brauchbares dabei herauskommt.

All das zu etablieren, ist für Konzerne und Unternehmen, die schon lange mit Abteilungen und Unterabteilungen, spezialisierten Expert*innen und Linearität arbeiten, oft gar nicht so einfach. Da sorgen sich Rechtsabteilungen um Eigentumsfragen, Forschungsabteilungen um Spionage und das Marketing ist ohnehin nur an Nutzer*innendaten interessiert. Wenn sich das Konkurrenzdenken schon lange breit gemacht hat, muss erst einmal ein geschützter Raum zum Ausprobieren und gemeinsamen Kreativwerden gefunden werden.

Co-Kreation braucht Ergebnisoffenheit

Echte Co-Kreation setzt ein positives Menschenbild voraus sowie die Bereitschaft, sich zu öffnen und verletzlich zu zeigen. Sie verlangt nach Selbstreflexion und der Fähigkeit, sich auf andere Perspektiven einzulassen. Gleichzeitig braucht Co-Kreation Rahmen gebende Strukturen: Erst durch klare Prozesse werden Räume geöffnet, in denen Menschen zusammenkommen und ihre Perspektiven einbringen können, ohne Angst vor Fehlern, aber mit Lust am Spielerischen.

Zurück zum Eingangsbeispiel: Die Mitarbeiter*innen, die den Etikettenwettbewerb bei Henkel initiierten, hatten weder die Offenheit für einen echten Austausch mit den Nutzer*innen, noch hatten sie den Prozess gut durchdacht: Als die Nutzer*innen schräge Ideen einbrachten, reagierten sie mit Regeländerungen. Dabei hätten die eingereichten Designs auch die Basis von etwas völlig Neuem sein können. Dann würden jetzt viel interessantere Etiketten Küchenzeilen zieren oder jährliche Spülmittelflaschen-Sonderauflagen für Sammler*innen erscheinen.

Nicht jedes Problem sollte co-kreativ gelöst werden. Aber manchmal führt Co-Kreation zu etwas, was keine*r der Beteiligten alleine geschafft hätte. Manchmal kommt auch etwas dabei heraus, was ganz anders ist, als am Anfang gedacht. Und manchmal kommt gar nichts dabei raus.

Manchmal führt Co-Kreation zu etwas, was keine*r der Beteiligten alleine geschafft hätte.

Takeaways

  • Co-Kreation wurde als Methode populär, Konsument*innen in den Wertschöpfungsprozess mit einzubeziehen.
  • Echte Co-Kreation basiert auf einem kulturellen Wandel hin zu mehr Kooperation und Vertrauen, weg von Konkurrenz.
  • Damit Co-Kreation gelingt, braucht es strukturierte Prozesse, Perspektivenvielfalt, Mitarbeit auf Augenhöhe und Offenheit für Fehler und unerwartete Ergebnisse.

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