Das Siegel B Corp adelt Unternehmen als eine „Kraft für das Gute“. Dazu gehören auch Nespresso und evian. Andere zertifizierte Unternehmen distanzieren sich. Fördert B Corp also eine regenerative Wirtschaft – oder Greenwashing?
Auf dem Weg zu einer regenerativen Wirtschaft spielen Siegel eine wichtige Rolle. Mit ihnen können sich Unternehmen von Mitbewerber*innen abheben, Konsument*innen helfen sie bei ihren Kaufentscheidungen. Wenn Siegel die gesamte Wertschöpfung in den Blick nehmen, ist sogar ein Dominoeffekt möglich, weil Unternehmen entlang der Lieferkette sich ebenfalls den ökologischen und sozialen Standards verpflichten müssen.
B Corp möchte so ein Siegel sein. Das drückt sich schon im Namen aus, der ausgeschrieben benefit corporation („gemeinwohlorientiertes Unternehmen“) bedeutet, aber auch im Leitsatz: „Make Business a Force For Good“ („Unternehmen zu einer Kraft für das Gute machen“).
Hol dir eine kostenlose Ausgabe von Neue Narrative
Magazin kostenlos lesenWarum wollen Unternehmen eine B Corp werden?
Bislang ist B Corp vor allem in den USA und Großbritannien verbreitet – und hoch angesehen. Die Financial Times beschreibt es als den Goldstandard für ESG-Unternehmen, also Unternehmen, die Kriterien in den Bereichen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung erfüllen. Laut der Zeitung wird das Siegel immer relevanter: Inzwischen gibt es in einigen Supermärkten sogar eigene Regale für Produkte von B-Corp-Unternehmen.
Auch hierzulande nimmt der Bekanntheitsgrad zu. „Auf immer mehr Produkten steht neuerdings ein großes B“, beobachtet etwa die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Inzwischen sind gut 100 in Deutschland ansässige Unternehmen durch B Corp zertifiziert.
Dazu gehörte bis 2022 auch das Unternehmen einhorn, das Kondome und Periodenprodukte verkauft. „Als wir 2016 das erste Assessment durchlaufen haben, war unser Wunsch, ein verlässliches Siegel zu haben, das zeigt: Wir sind glaubwürdig“, sagt Lena Ganswindt von einhorn. Es ging also um eine externe, unabhängige Bestätigung von Unternehmenspraktiken. „Wir wollten ein tatsächliches Abbild dessen, was wir machen.“
„Für Unternehmen sind Zertifizierungen im Allgemeinen gut, denn sie sind verkaufsfördernd“, beschreibt Michael Böcher, Professor für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Nachhaltige Entwicklung an der Universität Magdeburg, den Nutzen für Unternehmen. Laura Marie Edinger-Schons, Professorin für Nachhaltiges Wirtschaften der Universität Hamburg, hebt noch einen weiteren Grund hervor, der für die Zertifizierung spricht: „Unternehmen können im Zertifizierungsprozess etwas dazulernen.“
So war es etwa bei Bodo Schulze, Head of Impact bei Ela Mo, einer Rucksackmarke, die ihre Produkte ausschließlich online vertreibt. „Wir haben nach einem Standard gesucht, der für regeneratives Wirtschaften steht. Der uns darin unterstützt, unser Geschäftsmodell strategisch aufzugleisen.“ Sie wollten genau wissen, wie sie Dinge anders machen können. Auch Anke Buhl, Europa-Geschäftsführerin von Dr. Bronner’s, einem Hersteller von fair gehandelten Biokosmetik-Produkten, sagt: „Die Re-Zertifizierung ist für uns jedes Mal ein wichtiger Check, um zu sehen, wo wir stehen.“
Doch was wird da eigentlich genau zertifiziert? Und wie läuft das ab?
„Punkte sammeln wie im Bonusheft“
Das B-Corp-Siegel wird durch die Non-Profit-Organisation B Lab vergeben. Für die Zertifizierung müssen Unternehmen einen umfangreichen Fragenkatalog – das sogenannte B Impact Assessment, kurz BIA – beantworten. Dieser umfasst die Bereiche Unternehmensführung, Arbeitsbedingungen, gesellschaftliches Engagement, Umwelt und Kund*innen. Die konkrete Ausgestaltung des Fragebogens unterscheidet sich je nach Unternehmensgröße, Markt und Sektor.
Laut B Lab kommen so „insgesamt mindestens 90 verschiedene Tracks“, also Fragebögen, zusammen. „Das ist wie eine Datenbank, wo man alles einfügt“, sagt Ella Lagé, die den regenerativen Bereich bei der Unternehmensberatung TheDive leitet.1 „Es gibt Multiple-Choice, aber auch viele andere Antwortkategorien. Alles in allem ist das sehr umfangreich.“
Im ersten Schritt basiert die Bewertung auf einer Selbstauskunft. Im Weiteren fordert B Lab stichprobenartig Belege an. Aufgrund dieser Informationen werden Punkte vergeben. Um zertifiziert zu werden, muss ein Unternehmen mindestens 80 Punkte erreichen.2
Der gesamte Prozess dauert etwa ein Jahr. Die Kosten sind abhängig vom Jahresumsatz des Unternehmens. Zu den 2.500 bis 10.000 Euro für die Zertifizierung kommt eine Nutzungsgebühr von 2.000 bis 50.000 Euro jährlich. Unternehmen, die das B-Corp-Siegel weiterhin tragen wollen, müssen die Zertifizierung alle drei Jahre erneuern und dabei mehr Punkte erreichen als zuvor.
Sind die Fragen wirklich zielführend?
Das erste deutsche B-Corp-zertifizierte Unternehmen überhaupt war der Suchmaschinenanbieter Ecosia. „Aber wir fragen uns gerade, ob wir das wirklich noch mal machen sollen“, sagt Wolfgang Oels, COO bei Ecosia, der bereits zweimal die Re-Zertifizierung angeleitet hat. Das liegt vor allem daran, dass Oels viele der über 200 Bewertungskriterien für redundant oder gar sinnlos hält.
Dr. Bronner’s ist bereits seit 2015 zertifiziert und hat letztes Jahr 206,7 Punkte bekommen. Das ist der höchste jemals erreichte Wert. „Allerdings haben wir uns dagegen entschieden, dieses Ergebnis stolz öffentlich zu teilen, weil wir die Bewertungskriterien und auch manche Firmen, die mittlerweile B-Corp-zertifiziert sind, kritisch betrachten“, so Buhl.
Oels von Ecosia nennt ein Beispiel für seine Kritik an den Bewertungskriterien: Wer angibt, eine „formelle Spendenverpflichtung (z.B. 1 Prozent für den Planeten)“ zu haben und dazu noch Kund*innen erlaubt, auszuwählen, wer diese Spenden erhält, bekommt die volle Punktzahl bei der Frage. „Warum bekommen Unternehmen, die 1 Prozent ihres Gewinns spenden, die gleiche Punktzahl wie Unternehmen, die 100 Prozent spenden?“
Ecosia hingegen spendet nicht, sondern investiert in Erneuerbare Energien und Wiederaufforstung. Investitionen sind aber keine Spenden, entsprechend gebe es keine Punkte. Auf die Frage, ob er denkt, dass viele Punkte eine Aussage darüber erlauben, ob ein Unternehmen sozialer und nachhaltiger ist, antwortet Oels: „Ganz bestimmt nicht.“
„Ein Unternehmen bekommt völlig unabhängig davon, was es produziert, bis zu 4 Punkte, wenn es eine hohe Steigerung der Mitarbeiter:innen-Zahl verzeichnet. Auf der anderen Seite bekommt es nur 0,24 Punkte, wenn es zu 100 Prozent erneuerbare Energie nutzt. Die Möglichkeit, dass ein Unternehmen wie Ecosia mehr Solarstrom erzeugt, als es verbraucht, und den Überschuss ins Stromnetz einspeist, ist überhaupt nicht angedacht.“
Auch in puncto Unternehmensführung scheinen die Fragebögen hinterherzuhinken. So sagt Lagé von TheDive, dass selbstorganisierte Unternehmen in der Bewertung schlichtweg nicht vorgesehen seien: „Bei unserem letzten Reporting 2023 gingen sie in den Fragen von einer hierarchischen Struktur aus.“ Da sei etwa das Geschlechterverhältnis im Board abgefragt worden. „Wir sind selbstorganisiert, wir haben kein Board. Also kriegen wir auch keine Punkte.“
B Lab Deutschland sagt dazu: „Nicht jede Aktivität oder Investition, die ein Unternehmen tätigt, kann im B Impact Assessment berücksichtigt werden.“ Unter anderem deshalb denkt TheDive darüber nach, ob B Corp für sie ein geeignetes Siegel ist, ob sich der Aufwand wirklich lohnt. Die Entscheidung soll noch in diesem Jahr fallen.
Mangelnde Transparenz der Bewertungsgrundlage
Auch Ganswindt von einhorn kritisiert die Bewertung, die der Zertifizierung zugrunde liegt. „Das ist eigentlich nicht mal eine Bewertung, sondern ein Punktesammeln wie in einem Bonusheft.“ Ihre größte Kritik ist, dass es keine Minuspunkte gibt. „Du kannst in einem Bereich richtig dirty unterwegs sein, solange es woanders ganz gut ist.“ Letztlich habe einhorn für sich nicht klar beantworten können: „Geht es bei B Corp wirklich um eine ehrliche Auseinandersetzung mit sich selbst? Oder ist es Greenwashing?“
Das liege auch daran, dass die der Bewertung zugrunde liegenden Kriterien so intransparent seien. Zwar ist bei jeder Frage angegeben, wie viele Punkte erreicht werden können; worauf diese Bewertung jeweils gründet, ist aber nicht ersichtlich. Auf Nachfrage verweist B Lab Deutschland auf einen Eintrag im Support Portal des Unternehmens. Dort steht aber nur Allgemeines. So heißt es dort etwa, die Gewichtung von Fragen sei abhängig vom Track, von der Wirkung und der Schwierigkeit der Umsetzung. Auf welcher Basis diese Punktevergabe im Einzelnen stattfindet, bleibt schleierhaft.
Auch Böcher, der Professor für Nachhaltige Entwicklung, sagt, man finde zwar viel über die Idee von B Corp, die hehren Ideale, viele blumige Worte. Nur: Transparent sei das nicht. In einer vergleichenden Studie zu Nachhaltigkeitsrahmenwerken3 kommt das Forschungszentrum für Nachhaltigkeit am Helmholtz-Zentrum Potsdam zu einem ähnlichen Ergebnis. In puncto Transparenz schneidet B Corp in seiner Kategorie (Rahmenwerke für Nachhaltigkeitsberichterstattung) am schlechtesten ab.4
Ganswindt von einhorn ist der Ansicht, dass die Intransparenz große Unternehmen und Konzerne strukturell bevorteilt. Sie hätten mehr Ressourcen, oftmals sogar eigene Abteilungen, die sich ausschließlich mit Zertifizierungen befassen, und könnten sich deshalb eingehend mit den Fragen auseinandersetzen. Für einhorn dagegen sei die Zertifizierung ein ziemlicher Kraftakt gewesen, der viele Ressourcen gebunden habe.
Hinweise gesucht
sende mir eine E-MailB Corp für Nespresso und evian: „Ein bisschen Greenwashing“
Die Zertifizierung einzelner Marken sagt Nachhaltigkeitsexperte Böcher zufolge aber wenig über den Konzern aus: „Große Konzerne können ein bisschen Greenwashing machen, indem sie einzelne Marken zertifizieren lassen.“ Die Strategie dieser Global Player sei, alle Konsummilieus anzusprechen. Deshalb fänden sich bei ihnen nachhaltige Marken und Discountermarken oft unter einem Dach. „Als wirklich nachhaltiges Unternehmen muss man sich schon fragen, ob das dem eigenen Image nicht schadet“, sagt er.
Tatsächlich kritisieren vor allem kleinere Unternehmen scharf, dass B Lab Nespresso und evian zertifiziert hat. Für einhorn war das ein Grund, B Corp 2022 zu verlassen, so Ganswindt. Ein weiterer war, dass Danone, der Konzern, der die Marke evian führt, 2019 zusammen mit kleineren, nachhaltigen Unternehmen in die Überarbeitung der Bewertungsgrundlage eingebunden war. Buhl von Dr. Bronner’s sagt zur Zertifizierung von Nespresso: „Wir sind grundsätzlich dafür, dass große Unternehmen mit aufgenommen werden, aber nicht zum Preis weicherer Kriterien.“
Werden Standards zugunsten von Konzernen aufgeweicht? B Lab Deutschland verneint: „Der B-Corp-Standard ändert sich für kein Unternehmen, unabhängig von der Größe.“ Tatsächlich würden Konzerne sogar strenger geprüft als kleinere Organisationen. „Was nicht gesehen oder veröffentlicht wird, sind die Millionen von Euros an potenziellen Zertifizierungsgebühren, die B Lab jedes Jahr verpasst, weil wir streng an unseren Standards festhalten.“
Doch auf die Frage, welche Mittel B Lab ergreift, um der Wahrnehmung entgegenzuwirken, dass multinationale Unternehmen die Zertifizierung zum Greenwashing nutzen, antwortet B Lab ausweichend und etwas konfus: „Mit einer robusten Gemeinschaft von fast 9.000 zertifizierten B-Corp-Unternehmen weltweit, die bewährte Verfahren teilen, Bedenken ansprechen und Risiken managen, kann der Einfluss der Kolleg*innen bei der Bekämpfung von Greenwashing und der Verbesserung von Leistung und Transparenz unter B Corps nicht genug betont werden.“
Mit „Kolleg*innen“ sind hier wohl die B-Corp-Unternehmen gemeint. Auf Nachfrage führt B Lab BrewDog an. Bei seiner Zertifizierung hatte das Unternehmen die meisten seiner Punkte für die vermeintlich guten Arbeitsbedingungen erhalten. Nachdem Mitarbeiter*innen in einem offenen Brief von einer Kultur der Angst und des Mobbings berichtet hatten, entzog B Lab Brewdog die Zertifizierung. Laut B Lab ging dem eine Meldung über ihr Beschwerdeportal voran.
Unklar bleibt, inwiefern das nun zeigen soll, dass B Lab gegen Greenwashing vorgeht. Zeigt das nicht viel eher, dass die Überprüfung der Angaben bei Brewdog gescheitert war? Auf Nachfrage erklärt B Lab, dass es nicht über die Einzelheiten des Falls berichten dürfe.
Blendet B Corp die Grundlagen des Geschäftsmodells aus?
Dr. Bronner’s hat nach der Zertifizierung von Nespresso zusammen mit anderen zertifizierten B Corps eine Mitteilung veröffentlicht. Darin heißt es: „Nespressos extraktives Geschäftsmodell steht bekannterweise in fundamentalem Widerspruch zu der ethischen und gerechten Zukunft, die B Corp schaffen möchte und hätte auf Strukturebene verhindern sollen, dass Nespresso als B Corp zertifiziert wird.“ In die gleiche Kerbe schlägt Oels, wenn er in Bezug auf evian sagt: „Wie kann ein Unternehmen, das das Gemeingut Wasser abzapft, in Plastikflaschen verpackt und um die Welt schippert, eine ‚Kraft für das Gute‘ sein?“ Zumal evian eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben hat, nachdem die Deutsche Umwelthilfe gegen das Label geklagt hatte, weil es auf seinen Flaschen behauptete, klimaneutral zu sein.
Spielt das jeweilige Geschäftsmodell der Unternehmen in der B-Corp-Bewertung also nur eine untergeordnete Rolle? B Lab Deutschland antwortet: „Mit den sogenannten Impact Business Models können Unternehmen im B Impact Assessment nachweisen, wenn ihr Geschäftsmodell einen positiven Beitrag für Umwelt oder Gesellschaft leistet.“
Tatsächlich gibt der Nachweis eines sogenannten Impact Business Models Extrapunkte. Diese zu erhalten scheint aber nicht sonderlich schwer zu sein: Allein im Bereich Governance hat evian 7,5 Punkte bekommen, neu.land, das Unternehmen hinter Ela Mo, sogar 10. Dabei lässt Schulze, Head of Impact bei Ela Mo, keinen Zweifel über die momentane Ausrichtung ihrer Rucksack-Marke: „Im Moment ist unser Geschäftsmodell noch degenerativ, das ist klar. Und ich stelle mir manchmal schon die Frage: Wäre die Welt besser ohne uns?“ B Corp helfe aber, sich stetig zu verbessern, um einen positiven Beitrag zu leisten.
Wohin entwickelt sich B Corp?
In Zukunft wolle B Corp für jeden Bereich Mindestpunktzahlen festlegen. Wo die liegen und wann genau das eingeführt wird, stehe allerdings noch nicht fest. Gegenüber Neue Narrative erklärt B Lab Deutschland, dass diese „voraussichtlich bis Ende des Jahres“ kämen.
Zudem gibt es eine Liste mit rund 20 sogenannten kontroversen Themen. Unternehmen, die sich in diesen Feldern betätigen, sind von einer Zertifizierung ausgeschlossen (wie Betreiber privatwirtschaftlicher Gefängnisse) oder müssen besondere Auflagen erfüllen (wie fossile Energieunternehmen). 2021 wurde diese Liste um Unternehmen, die Wasser in Flaschen verkaufen, ergänzt. Sie müssen nun Anforderungen in Bezug auf nachhaltige Wassernutzung, fairen Wasserzugang und Abfallmanagement erfüllen, um die B-Corp-Zertifizierung zu erhalten, dürfen sich aber weiterhin zertifizieren lassen. Zusammenfassend reagiert B Corp also, indem es einige wenige kategorisch ausschließt und anderen umfassende Auflagen erteilt.
Das dürfte es kleineren Unternehmen allerdings noch schwerer machen, die Fragen zu beantworten – und der Öffentlichkeit die Bewertungsgrundlage noch undurchsichtiger erscheinen lassen. Oels von Ecosia nimmt hier einen deutlichen Standpunkt ein: „Es fehlt dem Ganzen an Esprit“, sagt er. „Die Bewertung ist eine bürokratisch-technokratische Fragerei, eine Litanei von Kleinigkeiten.“ 80 Prozent der Fragen hält er für überflüssig, weil es doch viel einfacher sein könnte. „Zum Beispiel könnte man fragen: Wie viel Prozent deines Geldes wird privatnützlich ausgeschüttet? Da hätte man dann auf ganz einfache Weise sehr viel abgedeckt“, meint Oels.
B-Corp-Balanceakt
Doch wenn sich B Corp auf einige Grundlagen beschränken und tatsächlich prüfen würde, ob Geschäftsmodell, Eigentums- und Organisationsform eine Kraft für das Gute sind, verlören vermutlich sehr viele Unternehmen ihr Siegel.
Das entspricht aber nicht dem Ansatz von B Corp, der sei nämlich ein „Balanceakt“, sagt Iris Lapinski, ehemalige Deutschlandchefin von B Lab. Konkret heißt das Lapinski zufolge, Nespresso und Danone für Fehlverhalten verantwortlich zu machen, gleichzeitig aber auch anzuerkennen, wenn sie Fortschritte machen. Die Frage sei: „Wie können wir es schaffen, in einer komplexen Welt Fortschritte zu erzielen, die die Mehrheit inspiriert, motiviert und uns alle wirklich voranbringt?“ In einer idealen Welt gäbe es keinen Plastikmüll, alles wäre nachhaltig und klimaneutral. Weil wir aber noch nicht in dieser Welt leben, müssten „wir einen Weg beschreiten, der in der heutigen Realität anfängt und viele, sehr, sehr viele Unternehmen und Menschen mitnimmt.“
Was Lapinski hier beschreibt, klingt viel zurückhaltender als der Claim „Kraft für das Gute“. Vielleicht ist das der eigentliche Grund für die Enttäuschung vieler Unternehmen, mit denen wir gesprochen haben. Eigentlich richtet sich B Corp gar nicht an sie, sondern an die Großen. Das glaubt zumindest Lagé von TheDive: B Corp sei besonders wirkungsvoll für Unternehmen, die erst noch transformiert werden müssen. Die also noch hierarchisch organisiert sind und ein extraktives Geschäftsmodell verfolgen. Denn wenn sich Konzerne ehrgeizige Ziele setzen, hätten auch kleine Dinge großen Einfluss.
Das stellt B Corp aber vor ein existenzielles Problem: Wenn die vielen kleinen und mittleren Unternehmen, die in ihren Bereichen als Vorreiter gelten, B Corp verlassen, büßt das Siegel weiter an Glaubwürdigkeit und damit an PR-Wirkung ein. Damit verlöre das Siegel aber selbst für große Unternehmen einen großen Teil seines Werts. Denn dann wäre es nichts weiter als ein Fragebogen, der sie darauf aufmerksam macht, in welchen Bereichen Verbesserungsbedarf besteht.
In jedem Fall wäre es ehrlicher, den Claim anzupassen. Treffender als „Kraft für das Gute“ wäre: „Wir haben uns versichern lassen, dass diese Unternehmen Kraft für das Gute aufwenden werden – zumindest ein bisschen.“ Nur klingt das natürlich längst nicht so gut.
Takeaways
- Siegel können eine wichtige Rolle auf dem Weg zu einer regenerativen Wirtschaft spielen – und B Corp möchte ein solches Siegel sein. In den USA gilt es als Goldstandard für ESG-Unternehmen, auch in Deutschland wird es immer wichtiger.
- Unternehmen versprechen sich von B Corp eine externe Bestätigung ihrer Praktiken und Impulse zur Verbesserung, aber auch Umsatzsteigerungen. Dabei scheint sich B Corp vor allem für große Unternehmen zu eignen.
- Einige Unternehmen, darunter Ecosia und Dr. Bronner’s, kritisieren den Zertifizierungsprozess – vor allem, dass dabei die Grundlagen des Geschäftsmodells nicht berücksichtigt werden.
- Deshalb können sich auch Firmen, die ein extraktives Geschäftsmodell verfolgen, als „Kraft für das Gute“ zertifizieren lassen. Das ärgert Unternehmen, die tatsächlich regenerativ ausgerichtet sind. Die Frage ist aber: Kann B Corp ohne diese überleben?
Zum weiterlesen
-
Anjli Raval von der Financial Times (Englisch) schreibt in dieser gelungenen Reportage, wie Unternehmen in Großbritannien und den USA auf die Zertifizierung von Nespresso & Co. reagieren.
-
Nespresso will 2025 recyclebare Kaffeekapseln in Deutschland einführen. Karolina Arnold von Flip hat allerdings herausgefunden, dass die hierzulande nicht im Biomüll entsorgt werden dürfen.
FUßNOTEN
- 1
Transparenzhinweis: Die NN Publishing GmbH, die Neue Narrative produziert und verlegt, wurde aus TheDive ausgegründet. ↩
- 2
Online heißt es an einer Stelle, die maximale Punktzahl betrage 200, an anderer Stelle sind es dann „250+“. Auf Nachfrage erklärt uns B Corp Deutschland, die Punktzahl sei nach oben nicht begrenzt. ↩
- 3
Research Center for Sustainability Helmholtz Centre Potsdam: Publizitätspflicht zur Nachhaltigkeit. Entwicklung eines Anforderungskatalogs für einen universellen Standard (PuNa-Studie) (2020) ↩
- 4
Weitere Kategorien waren „Auswahlinstrumente von nachhaltigen Aktien-Indices und Fonds“ sowie „Rahmenwerke für Nachhaltigkeitsmanagement“. Im Bereich Transparenz haben nur zwei Aktien-Indices schlechter abgeschnitten als B Corp. ↩