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Marie Luise Wolff ist Präsidentin des Bundesverbands deutscher Energie- und Wasserwirtschaft
Beziehungen

Was macht beziehungsfähige Unternehmen aus?

  • Interview: Sebastian Klein

Marie-Luise Wolff ist Vorstandsvorsitzende des Öko-Energieversorgers Entega und seit 2018 Präsidentin des Bundesverbands deutscher Energie- und Wasserwirtschaft. Wir haben sie gefragt, was beziehungsfähige Unternehmen ausmacht.

Sie haben kürzlich in einem Interview mit der taz1 davon gesprochen, dass Organisationen eine Beziehungskultur brauchen. Was genau meinen Sie damit?

Als ich angefangen habe, in der Wirtschaft zu arbeiten, herrschten Konkurrenzdenken bis hin zu Feindschaften mit Kolleg*innen als gängige Konzepte. Mit seinen Konkurrent*innen hat man war games gespielt, und die Beziehungskultur in den Unternehmen war geprägt von Misstrauen und Skepsis. Das halte ich aus heutiger Sicht für verfehlt. Heute muss ich sehr viel partnerschaftlicher denken, wenn ich ein Unternehmen voranbringen will.

Was bedeutet das: „partnerschaftlicher“?

Das fängt an mit dem Thema Wohlwollen. Begegne ich meinen Mitarbeiter*innen wohlwollend oder misstrauisch? Betrachte ich meine Mitmenschen erst einmal wohlwollend, ehe ich anfange, das Haar in der Suppe zu suchen? Das macht einen riesigen Unterschied.

Wenn man mit Menschen im Unternehmenszusammenhang zu tun hat, halte ich es für sinnvoll, sie nicht zu bremsen. Gerade in Deutschland kommen wir aus einer Kultur, in der man eher bremst, als die Leute zu ermutigen, ihre Gedanken und ihre Kräfte auch einmal laufen zu lassen.

Es geht aus meiner Sicht zweitens um Kühnheit. Das ist zwar ein etwas altmodischer Begriff, aber er trifft. Wir sagen oft, als Unternehmer*in muss man optimistisch sein. Ich würde noch einen Schritt weiter gehen: Als Unternehmer*in muss ich Kühnheit bei mir selbst zulassen, und ich muss andere dazu ermutigen, kühn zu denken.

Der dritte Begriff, der mir einfällt, ist Inspiration. Wir sprechen viel von Visionen und fragen: Was ist deine Vision? Aber was zusätzlich nötig ist, ist Inspiration. Man muss eine Welt der Inspiration in ein Unternehmen hinein bringen, sonst ist gar keine Vision möglich.

Wie kann das aussehen?

Inspiration gebe ich zum Beispiel, wenn ich selbst kühne Gedanken formuliere. Indem ich weniger an Zahlen klebe und immer frage: Was ist die Sinnachse? Wie können wir hier, an dieser Stelle noch weiter denken?

Ich muss selbst praktizieren, kühn über die eigenen Grenzen hinauszudenken. Das heißt für mich auch, neue Gedanken in mir zuzulassen und mich geistig auch immer wieder in anderen Gebieten aufzuhalten. Sonst komme ich gar nicht zur Inspiration.

„Ich halte es für ganz wichtig, sich ein hohes Interesse an Menschen zu bewahren.“

Sie sprechen in dem Zusammenhang auch von beziehungsorientiertem Führen. Was genau meinen Sie damit?

Ich halte es für ganz wichtig, sich ein hohes Interesse an Menschen zu bewahren. Das heißt, ohne Vorurteile im Kopf auf Menschen zuzugehen, den anderen zu entdecken, sich auch mit ganz anderen Menschen zu befassen, als man sie normalerweise in seinem Umfeld hat. Ich entdecke relativ häufig Menschen, die ich zufällig treffe im Unternehmen. Auf dem Firmenfest bewege ich mich bewusst in andere Umfelder – bleibe nicht immer nur im Vorstand oder Führungskreis.

Wie genau gelingt es Ihnen, Menschen zu entdecken?

Indem ich sie etwas frage, indem ich Menschen frei von der Seele reden lasse, also mich selbst kontrolliere und die eigene Redezeit reduziere. Ich frage mehr, als ich antworte. Ich lasse mehr sprechen, als selber zu sprechen. Es geht mir darum, in einem Gespräch auf eine tiefere Ebene zu kommen. Ein Gespräch ist ja keine Talkshow, man muss ihm die Zeit geben, sich zu entwickeln.

Wir sind im Grunde schon ziemlich versaut von diesen Talkshows, in denen es um den schnellen Effekt und um Pointen geht. Im Leben geht es nicht um Pointen, es geht darum, auf einen Punkt zu kommen, der für beide Seiten interessant ist. Nach einem gelungenen Gespräch denkt man doch oft: Oh, da habe ich jetzt aber mal etwas erfahren über die andere Person, das ich nicht wusste, etwas darüber, wie sie tickt. Um dahin zu kommen, ist es notwendig, ein Gespräch sich entwickeln zu lassen. Sonst komme ich gar nicht in eine Nähe-Beziehung.

„Ein Gespräch ist ja keine Talkshow, man muss ihm die Zeit geben, sich zu entwickeln.“

Sie haben zu Beginn des Gesprächs beschrieben, wie Sie die Beziehungskultur in Unternehmen früher erlebt haben. Was hat sich in der Hinsicht geändert?

Ich sehe vor allem bei den jungen Mitarbeiter*innen ein großes Bedürfnis nach Nähe und Nahbarkeit, auch mit Blick auf die Person, die ein Unternehmen führt. Damit ist aber nicht dieses „Ich trage jetzt auch Turnschuhe und keinen Anzug mehr“ gemeint. Turnschuhe zu tragen hat ja für sich genommen nichts mit echter Nähe zu tun. Es geht darum, sich im Gespräch in gewisser Weise zu offenbaren und sich deshalb näherzukommen.

Eine andere Sorte Beziehungen, die immer stärker in den Fokus rückt, ist die Beziehung zwischen Unternehmen und ihren Nutzer*innen und dem Rest der Welt. Wie sollte diese Beziehung aussehen?

Von Henry Ford stammt ein Satz, der simpel klingt, aber sehr tief ist: „Ein Geschäft, das nur Geld einbringt, ist ein schlechtes Geschäft.“ Da fängt es an: Ich sollte als Unternehmer*in nicht nur über Geld nachdenken. Im Silicon Valley habe ich aber viele Unternehmer*innen kennengelernt, die nur über Geld reden: „Ist das Ding schon eine Milliarde wert? Wie schnell komme ich dahin? Wann bin ich selbst Milliardär*in?“

Worüber sollten Unternehmer*innen stattdessen nachdenken?

Über den Nutzen einer Sache. Dafür muss ich die Sinnachse wieder mehr in den Mittelpunkt stellen. Mich fragen, ob es wirklich wichtig ist, dass die Welt eine Kochbox geliefert bekommt?

Es geht also um die Frage, welches relevante Problem ich mit meinem Unternehmen in meiner Zeit und in meiner Gesellschaft lösen könnte. Dazu muss ich zuallererst einmal fragen: In welcher Zeit lebe ich eigentlich? Und wenn ich mir da unsere Zeit anschaue, ist das wichtigste Thema ja ganz offensichtlich: den Planeten zu retten.

In Ihrem Buch Die Anbetung geht es viel um Facebook, Google, Amazon und Co. Sie schreiben, dass diese Unternehmen nichts dazu beitragen, die Probleme unserer Zeit zu lösen, sie sogar noch vergrößern. Was genau stört Sie an diesen Unternehmen?

Wir fragen uns ja leider nicht, was das heißt, eine Bestellung bei Amazon aufzugeben und dann so einen atemlosen Kurier durch die Stadt rauschen zu sehen. Also modernes Sklaventum zu fördern. Gestern war ich in meinem Supermarkt, da gab es eine längere Schlange an der Kasse. So ein Gezeter wegen einer Wartezeit von sagen wir mal vier, fünf Minuten habe ich lange nicht mehr gehört. Ich glaube, diese wahnsinnige Gereiztheit hat unter anderem mit der Erfahrung zu tun, auf Knopfdruck alles bekommen zu können.

Was mich besonders stört: Wir bezeichnen das alles auch noch als Fortschritt. Meiner Meinung nach sollten wir von Convenience, also Bequemlichkeit, als Leitbild für eine Unternehmensidee wegkommen. Der Philosoph John Ruskin hat gesagt: „Es gibt kaum etwas auf dieser Welt, das nicht jemand ein wenig schlechter machen und etwas billiger verkaufen könnte.“

Wenn man sich nun anschaut, was ein Teil der neuen Internet-Unternehmen macht, dann ist es im Grunde genau das. Taxi: etwas schlechter, etwas billiger. Reisen: schlechter, schneller, billiger. Wenn Sie sich die Ideen angucken, ist das, vor dem Ruskin gewarnt hat, doch oft die Formel hinter den neuen digitalen Unternehmungen. Und das ist einfach zu wenig.

Zur Person

Sie sagen, dass wir derzeit zu große Probleme haben, um Produkte zu bauen, die ausschließlich der Bequemlichkeit dienen. Wie kann es uns gelingen, den Blick für diese Probleme nicht zu verlieren?

Eine gute Übung ist, sich einen selbst als Hauptfigur in einem Roman vorzustellen. Wie ist mein Leben als Roman? Das hilft dabei, eine Langzeitperspektive einzunehmen. In dem Roman stehen Sätze wie „Und dann machte sie das, dann machte sie das …“ Nun stellen Sie sich vor, es geht darin um Ihr Leben. Da bekommt man schnell einen anderen Blick auf sich selbst. Sätze wie „Und dann hat sie 10.000 Euro mehr verdient“ oder „Und dann hat sie wieder 30 Facebook-Posts abgesetzt“ interessieren in einem Roman keinen Menschen.

Die Übung hilft dabei, eine andere Perspektive auf sich selbst einzunehmen. Das muss man nicht jeden Tag machen, aber ab und zu hilft es.

Haben Sie noch einen anderen Tipp?

Ich war mal in einem Führungsseminar bei dem Mönch Anselm Grün. Der hat eine Übung mit uns gemacht, die ich unglaublich toll fand: Wir hatten 15 Minuten Zeit, um uns in unsere Kindheit zu versetzen und uns zu fragen: Was habe ich damals unglaublich gerne gemacht? Was hat mich so sehr im Flow gehalten, dass ich gar nicht mehr damit aufhören konnte? Und das haben wir uns dann gegenseitig erzählt.

Die Übung habe ich als sehr bereichernd empfunden, weil sie dabei hilft, herauszufinden, wo ich hängen geblieben bin, was ich schon früh sehr gerne gemacht habe. Das kann ein Hinweis darauf sein, was einen ein Leben lang interessieren könnte.

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