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Fred beantwortet Fragen zur Selbstorganisation
Frag Fred

Wie Feedback in selbstorganisierten Teams funktioniert

In der Welt des neuen Arbeitens stellen sich jeden Tag Fragen, auf die es keine einfachen Antworten gibt. Genau solche Fragen beantworten Expert*innen aus der Praxis in dieser Kolumne. Unser eigener Lieblingsexperte heißt Fred.

Die Ausgangsfrage

„Ich arbeite in einem selbstorganisierten Team, was ja bedeutet, dass jede*r selbst entscheidet, was gut und richtig ist. Nun finde ich, dass mein Kollege keinen guten Job macht und bin deswegen ziemlich ratlos. Muss ich das einfach so hinnehmen? Oder kann ich ihm irgendwie Feedback geben, ohne in seine Rollenautonomie einzugreifen?“

Zwei der wesentlichen Grundannahmen in Holacracy sind folgende: Erstens sind dort Mensch und Rolle (also Verantwortungsbereich) strikt voneinander getrennt. Ich als Mensch existiere auch außerhalb der Organisation, in der ich arbeite. Meine Rolle jedoch existiert nur dort, und ich kann sie nach Belieben aktivieren (energetisieren, in Holacracy-Sprache), oder ich lasse sie liegen und widme mich einer ganz anderen Rolle – oder auch mal gar keiner, wenn ich keine Energie habe oder einfach nur Mensch sein möchte, abseits jeglicher Rollen-Verantwortung.

Zweitens herrscht innerhalb einer Rolle totale Autonomie, das heißt, keiner kann mir irgendwie reinreden, was ich wann wie tue, um meine Rolle auszufüllen. Sobald Einigkeit darüber besteht, was im Großen und Ganzen von der Rolle erwartet wird, ist diese Rolle wie ein Ferrari, in den ich mich setze: Ich kann mit Vollgas durch die Gegend fahren, ohne ständig auf andere zu warten, um Erlaubnis zu bitten oder andere ins Boot zu holen, ehe ich eine Entscheidung für links oder rechts treffe. „Be a Ferrari“, sagt Brian Robertson, der Schöpfer von Holacracy, immer, und damit meint er: Jede*r, die bzw. der eine Rolle innehat, soll in dieser Rolle voll autonom durch die Gegend fahren und sich auf das eigene Urteil verlassen, ohne ständig auf andere zu warten.

Was ist eine Rolle?

zum New Work Glossar
Eine Matrix mit den Achsen „Autonomie“ und „Ausrichtung“. Idealerweise sind beide Dimensionen hoch.

Wenn Ideal auf Realität trifft

Die meisten Menschen finden die Vorstellung, dass ein Unternehmen aus lauter autonom handelnden Rolleninhaber*innen besteht, zunächst sehr reizvoll. In der Realität funktioniert das aber nur, wenn ein großes Alignment besteht, wenn also alle die gleiche Vorstellung davon haben, was gut für das Unternehmen ist und was nicht. Außerdem setzt das voraus, dass jede*r sehr gut in der Lage ist, sich selbst zu organisieren, also jeden Tag aufs Neue Entscheidungen dazu zu treffen, welche Handlungen innerhalb einer Rolle sinnvoll wären.

Und natürlich entstehen permanent Reibungen, wenn viele Menschen gleichzeitig autonome Entscheidungen treffen und mehr oder weniger tun, was sie wollen. Reibungen an sich sind nicht schlecht, doch dann braucht es Möglichkeiten, sie konstruktiv aufzulösen.

Wie gibt man Ferraris Feedback?

Eine wichtige Frage ist nun: Wie kriege ich eine*n andere*n dazu, das zu tun, was ich sinnvoll fände? Wie gebe ich Feedback? Wie übermittle ich meine Version von einer besseren Realität? Und zwar ohne in die Rollen-Autonomie des*der anderen einzugreifen? Und ohne mit meiner persönlichen Bewertung den*die andere*n zu demotivieren?

Um das zu verstehen, brauchen wir einen halbwegs realen Fall:

Nehmen wir an, ich bin der Meinung, mein Kollege, der die Rolle Kundenservice innehat, mache keinen guten Job. Denn mir ist zu Ohren gekommen, dass eine Kundin so lange auf eine Antwort von ihm warten musste, dass sie in der Zwischenzeit eine wütende Mail an das ganze Team geschrieben hat. Darüber bin ich nun wütend, denn hier scheint Schaden zu entstehen, und so kann man doch nicht arbeiten!

Bei sich selbst anfangen: Keiner macht irgendwas falsch

In meinem Ärger mag ich das nicht so sehen, doch das Problem liegt zunächst mal bei mir: Der Kollege versucht mit Sicherheit, einen guten Job zu machen. Nur ich habe ein Urteil darüber: Ich denke, er mache etwas falsch. Damit schwinge ich mich nun entweder zum*zur Held*in auf, der*die alles besser weiß, oder ich werde der*die Bösewicht*in, der*die dem Kollegen ins Handwerk pfuscht.

Damit bin ich im Drama-Dreieck gelandet, das Holacracy überwinden will: Das Drama-Dreieck ist in vielen Unternehmen ständig am Werk, es macht Menschen zu Opfern, andere zu Held*innen, die ihnen beispringen, oder zu Bösewicht*innen (oft der*die Chef*in), die rücksichtslos etwas wollen, was wiederum andere zu Opfern macht und nach einem*er Dritten schreit, der*die als Held*in das Opfer aus seiner*ihrer Misere rettet.

Wie, wenn ich es besser machen und das Drama-Dreieck überwinden möchte? Wie, wenn ich die Rollen-Autonomie des*der anderen wahren und davon ausgehen möchte, dass er*sie auch nur sein*ihr Bestes tut?

Fred zieht ein Spielzeugauto hinter sich her.

Option 1: mich selbst verändern

Daher fange ich zunächst einmal bei mir selbst an und frage mich, woher mein Urteil eigentlich kommt. Finde ich Sätze wie „Er hätte doch … machen sollen“, mache ich mir selbst klar, dass das ein völlig ineffektives Urteil ist: Ich versuche, eine Erwartung an die Vergangenheit zu formulieren – was widersinnig ist, denn die Vergangenheit lässt sich nicht ändern, und Erwartungen machen grundsätzlich nur Sinn, wenn sie bekannt sind. Sonst können sie nur durch Zufall oder Gedankenlesen erfüllt werden.

Kann ich aus dem Fall also einfach etwas für mich lernen? Dass ich künftig Erwartungen explizit machen sollte und dysfunktionale Gedanken wie „Da hätte man doch …“ möglichst ablegen?

Ist das Problem damit erledigt, oder bin ich noch immer der Meinung, dass der Kollege etwas anders machen sollte?


Option 2: Ich coache den Kollegen

Falls ich immer noch der Meinung bin, dass es ein Problem gibt, das nicht nur mich, sondern auch den Kollegen betrifft, kann ich nun zwei verschiedene Haltungen einnehmen, die weder der*die Held*in noch der*die Bösewicht*in sind. Die erste ist die eines Coaches (anstelle des Helden): Ich bringe zunächst einmal in Erfahrung, was ich von den Rollen des Kollegen wirklich erwarten kann (in Holacracy ist das praktischerweise dokumentiert), und vereinbare dann ein Gespräch mit ihm.

In diesem Gespräch stelle ich nur Fragen, und zwar in folgender Reihenfolge:

  • Zunächst versuche ich zu verstehen, warum er gehandelt hat, wie er es getan hat. Ich höre mir die ganze Geschichte an.
  • Dann versuche ich zu verstehen, wieso er etwas, das ich gut gefunden hätte, nicht getan hat. Ich frage nach Gründen, ohne suggestiv zu sein.
  • Dann frage ich, inwiefern das, was er aktuell tut, seiner Meinung nach den Sinn seiner Rolle erfüllt.
  • Und dann kann ich noch fragen, ob er Möglichkeiten sieht, seine Rolle künftig noch besser auszufüllen.

Als Coach gebe ich meinem Kollegen keine To-dos oder Erwartungen mit. Ich versuche ihn lediglich dahin zu bringen, dass er selbst die entsprechenden Schlüsse zieht. Diese können dem sehr ähneln, was ich gerne erwarten würde. Aber er entscheidet.


Option 3: Ich challenge ihn

Der Coach ersetzt den*die Held*in aus dem Drama-Dreieck. Doch was ersetzt den*die Bösewicht*in? Richtig: der Challenger. In dieser Rolle kann ich unangenehme Fragen stellen und, anders als der Coach, auch ruhig direkt fragen „Warum hast du nicht … ?“ oder „Denkst du nicht, es wäre gut gewesen … ?“.

Hier kann ich das rauslassen, was sich früher vielleicht in einem „Da hätte man doch …“ entladen hat. Wichtiger Unterschied: Ich streiche das Urteil (er macht einen schlechten Job) und ersetze es durch eine positive Grundannahme (er will einen guten Job machen). Und wir fokussieren uns gemeinsam auf die Zukunft: Anstatt uns über die Vergangenheit zu beklagen oder mit grammatikalischem Spagat Erwartungen an vorletzte Woche zu formulieren, geht es ausschließlich darum, die Dinge in Zukunft besser zu machen. Wir fragen uns gemeinsam: „Wie würdest du die Sache beim nächsten Mal angehen?“ Oder: „Wäre es gut, sie so zu lösen – oder so?“


Option 4: Ich schaffe eine neue Erwartung

Einer der Aspekte, die Holacracy so reizvoll machen: Es gibt für alles immer eine Lösung. Wenn ich also merke, die Schritte 1 bis 3 haben das Problem noch nicht gelöst, und ich immer noch der Meinung bin, dass das mit den Kund*innen-E-Mails künftig anders laufen sollte, dann gibt es auch dafür eine Lösung: Ich schaffe eine neue Erwartung. Also beispielsweise die Erwartung an die Rolle Kundenservice, dass jede Kund*innenanfrage künftig innerhalb eines Tages beantwortet wird. Diese Erwartung kann ich nicht einseitig festsetzen, ich kann sie aber vorschlagen, und wenn sie sinnvoll im Sinne der Organisation erscheint, wird sie auch angenommen.

Fred malt ein Drama-Dreieck auf eine Tafel.
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