Es existieren eine ganze Menge Geschlechter zwischen und jenseits von Mann und Frau, die in der Arbeitswelt viel zu selten vorkommen. Damit sich das ändert, gibt es diese Kolumne. Diesmal: Warum Geld nicht neutral ist, sondern Geschlechterungerechtigkeit festigt.
Stell dir vor, du würdest zu Hause für jede Stunde Wäschewaschen bezahlt, und fürs Putzen, Einkaufen und Kochen, für Behördengänge, Reparatur- und Gartenarbeit, für die Unterstützung anderer, fürs Füttern oder Trösten, für Nachbarschaftshilfe und ehrenamtliche Tätigkeiten. Sagen wir, du verdienst den Mindestlohn oder den Stundenlohn deiner aktuellen Lohnarbeit. Wie viel Geld hättest du dann monatlich mehr auf deinem Konto?
Wir alle leisten täglich unbezahlte Sorge- oder Care-Arbeit. Ohne sie liefe nichts: Die Sorge um uns und andere ist essenziell für Gesellschaft und Wirtschaft. Sie macht unser Leben erst möglich – und ist doch weitestgehend unsichtbar. Der Wert dieser Arbeit ist vergütet mit dem niedrigen Stundenlohn einer Haushaltshilfe eine Billion Euro wert, errechnete das Statistische Bundesamt für das Jahr 2013.1 Das ist mehr als die durch bezahlte Arbeit erzielten Nettoeinkommen.
Wir schenken dir eine Ausgabe von Neue Narrative!
In der Ausgabe, die wir dir als PDF zuschicken, geht es darum, wie eine Wirtschaftswelt ohne große Egos aussehen könnte.
Arbeit, die nichts wert ist
Die meiste Care-Arbeit wird unbezahlt geleistet. Wir nehmen diese um- und versorgenden Tätigkeiten als selbstverständlich an, sie finden im Hintergrund statt. Und da, wo Care-Arbeit als Erwerbsarbeit geleistet wird, bekommt sie wenig gesellschaftliche und monetäre Wertschätzung – trotz aller Betonung ihrer Systemrelevanz im vergangenen Jahr.
Dass man für sie kein oder wenig Geld bekommt, scheint eine – durch den Markt bestimmte – Gegebenheit. Geld fungiert dabei als vermeintlich neutraler Bewertungsmaßstab, mit dem wir den Wert von Lohnarbeit, Dingen und Dienstleistungen bemessen: Gutes ist teuer, wer viel Verantwortung trägt und anspruchsvolle Arbeit macht, verdient viel. Wenn mit etwas Geld gemacht werden kann, gilt es als wertschöpfend. Im Umkehrschluss gilt: Was nicht teuer ist oder womit man kein Geld machen kann, kann nicht so viel wert sein. Gleichzeitig wissen wir, dass das nicht stimmt. Ein hoher Preis lässt nicht zuverlässig auf Qualität oder aufwendige Produktion schließen und kaum jemand hält es für plausibel, dass ein Konzernmanager 500 Mal so wertvolle Arbeit macht wie eine Pflegekraft. Wie kann also etwas system- oder eher lebensrelevant sein, aber nicht als Arbeit angesehen werden, die es gut oder überhaupt zu bezahlen gilt?
Geld bestimmt, was Arbeit ist
Das liegt an der gängigen Unterteilung in produktive und un- oder reproduktive Arbeit, die vor knapp 200 Jahren mit der Unterteilung in zwei Bereiche – öffentlich und privat – einherging. Mit der Industrialisierung zementierte sich die Vorstellung von zwei gegensätzlichen Geschlechtern mit grundsätzlich verschiedenen Eigenschaften: Die rationalen Männer sind für die Welt da draußen bestimmt, die emotionalen Frauen erledigen die Hausarbeit und Sorge für die Familie.
Diese Trennung von produktiver und un- oder reproduktiver Arbeit verstärkt die Geschlechterbinarität, denn sie macht Frauen und Männer verschieden. Mehr noch: Sie wertet die eine Form von Arbeit mit der Vorstellung ab, Frauen würden sie aufgrund ihrer vermeintlich natürlichen Veranlagungen aus Liebe erledigen. Diese Tätigkeiten bleiben daher unbezahlt, gelten nicht mehr als richtige Arbeit und Frauen folglich als inkompetent in wirtschaftlichen Dingen: In der BRD beispielsweise dürfen sie erst seit 1977 ohne Erlaubnis ihres Mannes Geld verdienen und erst seit 1962 ein eigenes Konto eröffnen.
Frauen leisten immer noch den Großteil der unbezahlten Care-Arbeit, und entgegen dem bürgerlichen Familienideal müssen sie häufig zusätzlich bezahlter Arbeit nachgehen. Bezahlte Care-Arbeit findet vor allem im Gesundheits-, Sozial- und Bildungswesen statt. Das sind Branchen, in denen überwiegend Frauen arbeiten. Sie verdienen dort etwa 40 Prozent weniger als in männerdominierten Branchen üblich2 – während die wenigen Männer, die in Care-Berufen arbeiten, dort im Schnitt mehr verdienen als ihre Kolleginnen. Steigt der Frauenanteil in einer männerdominierten Branche, sinkt dort das Lohnniveau.3 Kurzum: Wenn Männer arbeiten, ist es mehr wert. Auf sie entfallen zwei Drittel des gesamten Einkommens in Deutschland. Ihr Stundenlohn ist im Schnitt knapp ein Fünftel höher. Die Ungerechtigkeit dieses Gender-Pay-Gap4 ist viel diskutiert, de facto hat sich in den letzten 20 Jahren aber kaum etwas verändert.
Das führt zu Unterschieden im Gesamteinkommen – ausgedrückt im Gender-Lifetime-Earnings-Gap – von 49 Prozent: Frauen sammeln über ihr gesamtes Arbeitsleben nur etwa halb so viel Einkommen an wie Männer. Zusätzlich fehlen all die Milliarden, die nicht als Lohn für essenzielle Care-Arbeit gezahlt werden, vor allem auf den Konten, beim Vermögen und bei den Renten von Frauen. Obwohl Frauen also inzwischen eigenes Geld verdienen und darüber entscheiden dürfen, haben sie viel weniger davon.
Geld kommt auch von gelten
Geld haftet ein falsches Image an. Es ist keine neutrale, wirtschaftliche Entscheidung, etwas mit einem Geldwert zu versehen, sondern im Wesentlichen eine soziale und politische Zuschreibung. Geld und Wirtschaft verbinden wir mit Vorstellungen über Männlichkeit wie Objektivität, Unabhängigkeit, logische Stringenz, individuelle Leistung, Mathematik, Abstraktion und Emotionslosigkeit. Dabei geht unter, dass Geld als soziales Kommunikationsmittel und Statussymbol ausdrückt, welche Bedeutung und welchen Wert wir etwas zumessen. Wir denken, Geld sei geschlechtsneutral und bestimme den Wert von Dingen. Da Geld die einzig gültige Maßeinheit in unserer Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung ist, bedeutet das: Alles, was keinen Geldwert hat, wird aus ihr ausgeschlossen oder unsichtbar.
New Work bedeutet aber, dass Lohnarbeit nicht mehr allein im Zentrum steht. Eine neue Sicht auf Arbeit und das Ausprobieren neuer Arbeitskonzepte beinhaltet, grundlegend über die Bewertung und Entlohnung von Arbeit nachzudenken. Es geht also um einen neuen Begriff von Wirtschaft, der alle ökonomischen Bereiche umfasst. Beginnen wir dafür mit der Frage, was überhaupt gesellschaftlich notwendige Arbeit ist. Das verändert nicht nur, was wir gesellschaftlich und monetär wertschätzen, sondern auch das komplementäre Verhältnis von produktiv und re- bzw. unproduktiv – und somit letztlich die starre Geschlechterbinarität.
💡 Takeaways
Was monetär entlohnt wird oder teuer ist, gilt als wertvoll und wertschöpfend. Doch Care-Arbeit wird, wenn überhaupt, schlecht bezahlt – obwohl wir ohne sie nicht leben oder wirtschaften können.
Geld ist kein neutraler Bewertungsmaßstab, sondern manifestiert Geschlechterungerechtigkeit. Wenn Männer arbeiten, ist es mehr wert.
New Work braucht ein Konzept von Wirtschaft, das produktive und reproduktive Arbeit zusammen denkt und ihren Wert nicht daran bemisst, wie viel Geld man mit ihr machen kann.
Prozentualer Unterschied des durchschnittlichen Bruttostundenverdienstes von Frauen und Männern, bezogen auf den durchschnittlichen Bruttostundenverdienst von Männern.↩
Direkt weiterlesen? Artikel, die dir auch gefallen könnten…
Brainstorming ist keine effektive Methode, um Ideen zu entwickeln. Das ist wissenschaftlich erwiesen. Trotzdem brainstormen wir immer weiter. Warum? Und was ist die Alternative?
Immer mehr Teams versuchen, Probleme co-kreativ anzugehen. Doch was bedeutet Co-Kreation eigentlich? Und wie gelingt es, co-kreative Prozesse leichtfüßig zu organisieren?
Was wir heute Selfcare nennen, sind häufig Selbstverständlichkeiten, die wir brauchen, damit es uns gut geht. Durch diese Verschiebung werden unsere grundlegenden Bedürfnisse zum vermarktbaren Produkt. Das ist ein Problem.
Konflikte sind unangenehm. Häufig schlagen wir den vermeintlich einfachsten Weg ein, mit ihnen umzugehen: nämlich gar nicht. Dabei können Konflikte, wenn sie auf der Ebene von Bedürfnissen bearbeitet werden, für beide Seiten ein Gewinn sein.