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Eine Figur in Meditationshaltung
Frag Frida

Wie wir Verantwortung für unsere Gefühle übernehmen können

  • Text: Sebastian Klein
  • Illustration: Robert Löbel

In der Welt des neuen Arbeitens stellen sich jeden Tag Fragen, auf die es keine einfachen Antworten gibt. Genau solche Fragen beantworten Expert*innen aus der Praxis in dieser Kolumne. Unsere eigene Lieblingsexpertin heißt Frida.

Die Ausgangsfrage

Mein Team arbeitet jetzt selbstorganisiert und ich soll plötzlich die volle Verantwortung für meine Rollen im Projekt übernehmen. Jetzt weiß ich nicht, ob ich diese Verantwortung überhaupt tragen kann: Wie kann ich denn damit umgehen, wenn mein Verhalten schlechte Gefühle bei anderen auslöst? Wie kann ich verantwortungsvoll mit Konflikten umgehen?

Meine Verantwortung, deine Verantwortung

In der Gewaltfreien Kommunikation gilt: Wir können nur Verantwortung für das übernehmen, worüber wir Kontrolle haben. Was heißt das? Ganz einfach. Ich übernehme jederzeit die volle Verantwortung für zwei Dinge:

  • Meine Ziele und Absichten
  • Mein Handeln

Was ich jedoch nicht beeinflussen kann, und hierfür kann ich also auch keine Verantwortung übernehmen:

  • Die Reaktionen anderer auf mein Handeln, inklusive der Gefühle, die in ihnen entstehen

Dass ich keine Verantwortung für die Gefühle anderer übernehmen kann, macht allein schon deshalb Sinn, weil die gleiche Person A an einem guten Tag völlig anders auf die gleiche Handlung von mir (Person B) reagieren kann als an einem schlechten:

Für die in ihr entstehenden Gefühle muss die Kollegin allerdings selbst Verantwortung tragen, denn die kann ich nicht steuern.

Zwei Szenen, zwei Reaktionen

Szene 1: Die Sonne scheint, es ist Freitag. Person A war morgens beim Yoga und hat gestern ihren Sommerurlaub gebucht.

  • Person B: „Können wir später über die Folien sprechen, die du mir letzte Woche geschickt hast?“
  • Person A: „Gerne, wie wäre es um 14 Uhr?“

Szene 2: Montagmorgen, es regnet. Person A hat später noch einen Zahnarzttermin und gestern erfahren, dass sie Steuern nachzahlen muss.

  • Person B: „Können wir später über die Folien sprechen, die du mir letzte Woche geschickt hast?“
  • Person A „Was soll das denn jetzt, kannst du dich bitte mal um deinen eigenen Kram kümmern?“

Ich bin verantwortlich für das, was ich tue und was ich damit bezwecke. Ist es meine Absicht, meine Kollegin wütend zu machen oder zu verletzen, dann muss ich genau dafür (die Absicht) auch Verantwortung übernehmen. Für die in ihr entstehenden Gefühle muss die Kollegin allerdings selbst Verantwortung tragen, denn die kann ich nicht steuern. Jede*r kennt Situationen, in denen sie*er in guter Absicht gehandelt, die andere Person jedoch unerwartet emotional reagiert hat. Mit solchen Situationen lässt sich viel leichter umgehen, wenn man sich klarmacht, wo die eigene Verantwortung liegt und wo sie endet.

Bitte nicht vorschnell ...

Wer sich jetzt freut und diesen Leitsatz als Erlaubnis nimmt, auf den Gefühlen anderer herumzutrampeln, sollte bitte nochmals drüber nachdenken: Nur weil ich keine Verantwortung für die Gefühle meines Gegenübers tragen kann, heißt das nicht, dass meine Absicht (für die ich verantwortlich bin) und mein Handeln (dito) vorsätzlich oder fahrlässig darauf abzielen sollten, eine andere Person wütend oder traurig zu machen. Im obigen Beispiel macht es einen entscheidenden Unterschied, ob ich vom Zahnarztbesuch und der Steuernachzahlung weiß oder nicht, und wie die gemeinsame Vorgeschichte aussieht. Eine positive Intention liegt sicher nicht vor, wenn ich die andere Person absichtlich reize, weil ich weiß, dass sie heute besonders dünnhäutig ist.

Wenn starke Gefühle in mir entstehen

Nun wechseln wir die Seite: Ein anderer Kollege hat eine E-Mail geschrieben, die mich wütend macht. Meiner Auffassung nach (die nicht mit einer absoluten Realität gleichzusetzen ist) stellt er Arbeitsergebnisse als die seinen dar, ohne meinen Beitrag angemessen zu würdigen. Mein Puls geht sofort auf 180, denn das macht der doch nur, um sich mal wieder wichtig zu machen. Das kennen wir ja schon, und wie soll man mit solch elenden Narzissten nur arbeiten!?

Ist der Kollege also verantwortlich für meine Wut? Nein, er ist verantwortlich für die E-Mail und die Intention, mit der er sie geschrieben hat. Und wofür muss ich Verantwortung übernehmen? Genau: für die Gefühle, die infolge der E-Mail in mir entstehen, und dafür, wie ich mit ihnen umgehe.

Wie ich mit ihnen umgehe? Jetzt wird es richtig interessant.

Denn wie die meisten von uns wissen, entstehen Gefühle in uns ganz spontan, ohne dass wir willentlichen Einfluss auf sie hätten (jedenfalls ist dieser Einfluss, den wir auf unser Gefühlsleben haben, begrenzt und erfordert Übung und viel Selbstreflexion). Worauf wir jedoch Einfluss haben, ist in jedem Fall, was wir in der Folge tun: Geben wir dem Gefühl nach und schreiben eine wütende E-Mail? Oder lassen wir erst mal das Gefühl abklingen? Beim zweiten Lesen der E-Mail mit etwas Abstand und nach einem Gang um den Block sehen wir direkt, dass unsere vorschnelle Interpretation auf vielen subjektiven Annahmen beruht („Das hat er doch soundso gemeint.“). Und ein kurzes Gespräch mit dem Kollegen unter vier Augen lässt die Welt vielleicht auch direkt ganz anders aussehen.

Eine Figur mit Blitzen um den Kopf neben einer anderen, die plattgedrückt wird

Jede*r von uns kann frei entscheiden, wie sie*er reagiert. Wir mögen emotionsgesteuert sein, aber Roboter, die auf Stimulus A unweigerlich mit Reaktion B antworten, sind wir sicher nicht.

Von menschlicher Kommunikation und Bedürfnissen

Die Frage danach, wer wofür Verantwortung übernehmen kann, haben wir nun also geklärt. Verantwortung zu übernehmen ist eine schöne Sache: Solange meine Intention positiv und mein Handeln bedacht ist, kann ich sie übernehmen, ohne schlaflose Nächte zu riskieren.

Allerdings löst das noch nicht das Problem, dass es manchmal einfach zu Konflikten kommt, ich anderen auf die Zehen trete und Wut, Ärger und Frust entstehen. Für solche Situationen bietet die GfK einen schönen Werkzeugkoffer, aus dem wir uns bedienen können, wann immer am Arbeitsplatz (oder auch andernorts) starke Gefühle entstehen, die ein konstruktives Miteinander behindern. Deswegen folgt hier ein kleiner Exkurs zu den Grundannahmen der Gewaltfreien Kommunikation.

Wer empathisch nach den eigenen Bedürfnissen und denen des Gegenübers sucht, nimmt eine umsichtige Perspektive ein, die für den weiteren Umgang sehr wertvoll ist.

Exkurs: Gewaltfreie Kommunikation (GfK)

Gewaltfreie Kommunikation, auch Rosenberg-Modell genannt, ist ein Sprachmodell, das darauf abzielt, zwischenmenschliche Kommunikation wesentlicher, achtsamer und freudvoller zu gestalten. Mit gewaltfrei ist nicht gemeint, dass das Modell nur für Konflikte gedacht ist, die das Potenzial haben, im Faustkampf zu enden. Es geht vielmehr darum, mit sich selbst und mit anderen in eine einfühlsame Verbindung zu gehen.

Die Grunderkenntnis dabei ist, dass Menschen alles, was sie tun, aufgrund von positiven Bedürfnissen tun: z.B. Schlaf, Freiheit oder Respekt. Ja, selbst auf die Menschen, die uns nicht so lieb sind oder gar zuwider, trifft das zu. Wer empathisch nach den eigenen Bedürfnissen und denen des Gegenübers sucht, nimmt eine umsichtige Perspektive ein, die für den weiteren Umgang sehr wertvoll ist.

Das ist der Moment, in dem GfK zu einer Haltung wird.

Die GfK geht davon aus, dass alles, was wir tun, aufgrund universeller menschlicher Bedürfnisse geschieht. Diese Bedürfnisse sind grundsätzlich positiv und bei jedem Menschen gleich. Jede*r hat beispielsweise ein Bedürfnis nach Autonomie, nach Sicherheit, Verbindung und Entspannung. Diese Bedürfnisse sind allerdings bei unterschiedlichen Menschen zu unterschiedlichen Zeitpunkten unterschiedlich gut erfüllt und damit unterschiedlich präsent.

Ist beispielsweise mein Bedürfnis nach Verbindung oder Wertschätzung gerade nicht besonders gut erfüllt (weil ich z.B. einen neuen Job angetreten habe und unsicher bin, ob meine Arbeit von den anderen wertgeschätzt wird), hat dieses (unerfüllte) Bedürfnis größeren Einfluss auf mein Verhalten als bei jemandem, dessen Bedürfnis gerade erfüllt ist. Jede*r von uns bringt außerdem jede Menge Altlasten mit. Das Bedürfnis meines Kollegen nach Wertschätzung mag besonders stark sein, weil er als Kind zu viel oder zu wenig davon bekommen hat.

In jedem Fall können wir uns als Menschen leicht miteinander verständigen, wenn wir diese Bedürfnisebene mit in unsere Kommunikation einbeziehen: Denn auch wenn ich vielleicht nicht mit der Strategie einverstanden bin, die mein Kollege wählt (z.B. die lange E-Mail, die mir narzisstisch und anmaßend erscheint), so werde ich ihm niemals absprechen, dass sein menschliches Bedürfnis (z.B. nach Wertschätzung oder danach, gehört zu werden) grundsätzlich berechtigt ist. Die GfK geht davon aus, dass alle Menschen sich ihre Bedürfnisse erfüllen wollen, und dass alle Mitmenschen dafür grundsätzlich Verständnis haben (da sie selbst die gleichen Bedürfnisse haben).

Zu Problemen kommt es nur deshalb, weil wir die dahinter liegenden Bedürfnisse nicht sehen, solange sie nicht mit kommuniziert werden (was in der Regel nicht geschieht, außer man hat es mit einer Gruppe GfK-Trainer*innen zu tun). Wir sehen nur, was die andere Person tut (eine E-Mail schreiben) und was das in uns auslöst („das, was da steht, macht mich richtig wütend“). Und dank unseres großen Gehirns interpretieren wir („der will sich doch wichtig machen und meine Leistung als seine verkaufen“) und bewerten („was für ein Wichtigtuer“). Kurzum: Wir wissen nicht, was andere denken oder fühlen. Wir interpretieren ihr Verhalten und sind dann wegen unserer eigenen Gedanken beleidigt.

Gewaltfrei Probleme lösen

Die GfK geht davon aus, dass sich Konflikte viel schneller und einfacher lösen lassen, wenn wir zur Bedürfnisebene durchdringen. Das heißt, wann immer es zu starken Emotionen kommt, sollte diesen nachgespürt werden, um die Sache besprechbar zu machen. Das sieht dann so aus:

Fall 1: Die Gefühle entstehen bei mir

Nehmen wir den Fall des Kollegen, der eine E-Mail schreibt, bei deren Lektüre sofort alle roten Lampen bei mir angehen. Ich werde wütend, empfinde die E-Mail als anmaßend und wichtigtuerisch. Dem müsste man mal so richtig die Meinung geigen, am besten mit möglichst vielen Leuten in CC ...

Zeit, um den Laptop zuzuklappen und erst mal tief durchzuatmen. Die wohl schlechteste Lösung ist es, dem ersten Impuls zu folgen und eine wütende E-Mail zu schreiben. Denn in der gesamten Geschichte der Menschheit hatte noch keine wütende, unter dem Einfluss starker Emotionen geschriebene E-Mail einen positiven Effekt.

Sobald der Puls wieder unter 120 ist, lohnt es sich, den folgenden Fragen nachzugehen:

  • Warum ist dieses Gefühl gerade in mir entstanden, was genau war der Auslöser?
  • Was davon ist tatsächlich beobachtbar, und was meine eigene Interpretation bzw. eine Unterstellung („er hat das bestimmt soundso gemeint“)?
  • Mit welchem menschlichen Bedürfnis hat mein Gefühl zu tun? (Geht es mir z.B. selbst um Wertschätzung, ist mir Gerechtigkeit wichtig ...) Die E-Mail ist nur der Auslöser, die Ursache für die Emotion liegt bei mir selbst und hat mit diesem Bedürfnis zu tun.
  • Übernehme ich die Verantwortung für meine Gefühle und Bedürfnisse? (Ich bin wütend, weil mir etwas wichtig ist – nicht weil irgendjemand irgendetwas getan hat.)
  • Wie kann ich dem Kollegen meine Spannung kommunizieren? (Hinweis: E-Mail ist meistens keine gute Option.)
  • Kann ich bei der Kommunikation dem GfK-Schema folgen (siehe Abbildung)?

Kommen wir zum nicht minder spannenden zweiten Szenario, das uns auch zur Ausgangsfrage zurückbringt:

Wir wissen nicht, was andere denken oder fühlen. Wir interpretieren ihr Verhalten und sind dann wegen unserer eigenen Gedanken beleidigt.
fragfrida_ineffektiv_besser.png
Rechts: Vier Schritte der Gewaltfreien Kommunikation

Fall 2: Die Gefühle entstehen in meinem Gegenüber

In diesem Fall bin ich die Person, die mit ihrem Verhalten eine*n andere*n vor den Kopf stößt – wie z.B. meine Bitte, mit der Kollegin über ihre Präsentation sprechen zu wollen. Sie ist verärgert und hat meinen Kommentar als versteckte Kritik aufgefasst (vermute ich). Wie gehe ich nun mit ihr um? Wie schaffe ich es, dass ich bekomme, was ich möchte (über die Folien sprechen) und gleichzeitig wieder eine konstruktive Arbeitsatmosphäre entsteht?

Wenn die Kollegin offensichtlich schlecht drauf ist, lasse ich vielleicht einen Tag verstreichen, ehe ich sie anspreche. Wer GfK-geübt ist, kann es auch direkt tun. Ich suche also das Gespräch und orientiere mich wieder am GfK-Schema:

  1. Zunächst bitte ich sie, kurz mit mir über die Situation zu sprechen. Falls sie ablehnt, bitte ich sie, einen besseren Zeitpunkt vorzuschlagen.
  2. Im Gespräch lege ich meine Intention und mein Verhalten noch mal dar und schildere, wie ich ihre Reaktion wahrgenommen habe. Und zwar ohne eine Interpretation, was ihre Intention gewesen sein könnte: Ich schildere nur, was ich gesehen und gehört habe – und was das in mir ausgelöst hat.
  3. Ich bitte sie, mir von ihrer eigenen Wahrnehmung der Situation zu berichten: Wie hat sie mein Verhalten wahrgenommen, welche Gefühle sind in ihr entstanden und mit welchen Bedürfnissen könnte das zu tun haben?
  4. Nachdem ich ihre Bedürfnisse wirklich verstanden habe, lege ich meine eigene Sicht daneben und erkläre, welche Intention ich verfolgt habe und warum mir die Sache wichtig ist. Um welches Bedürfnis ging es mir dabei besonders?
  5. Wir nähern uns einem gemeinsamen Bild. Viele Konflikte lösen sich schon allein dadurch, dass alle Bedürfnisse gehört und verstanden wurden. Falls es darüber hinaus noch Handlungsbedarf gibt, kann ich eine Bitte aussprechen, wie z.B.: „Wärst du bereit, nach einem Termin zu suchen, an dem wir über die Folien sprechen können?“

In der Realität ist der Umgang mit den eigenen Emotionen und denen von anderen natürlich trotzdem kompliziert, oft unvorhersehbar und anstrengend. Die GfK bietet dafür spannende Lösungsansätze, die die Zusammenarbeit im Team ein Stückchen einfacher machen können. Wir müssen vor Verantwortung nicht mehr zurückschrecken, wenn wir ihre Grenzen kennen und Konflikte zu lösen wissen.

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